Harald Krabbe an Ernst Haeckel, Kopenhagen, 4. Januar 1912

Monradsvej 19

Kopenhagen F.

4. Januar 1912

Lieber Haeckel!

Es ist jetzt mehr als ein halbes Jahr verlaufen, seitdem der Unfall Dich traf, der Dich längere Zeit ans Bett fesseln musste. Zwar habe ich im Laufe des Sommers theils durch hiesige Zeitungen, theils durch Focke erfahren, dass Du in Besserung warst, und ich hoffe, dass dieselbe sich so fortgesetzt hat, dass Du nun wenn auch mit Hülfe eines Stockes, frei herum gehen kannst; aber ich sehne mich sehr von Dir selbst zu hören, wie es Dir geht. Was mich selbst betrifft, so wird mein Sehvermögen allerdings allmählig geringer; ich bin seit Jahren ganz ausser || Stande zu lesen, nicht einmal was ich selbst schreibe; doch kann ich am Tage ohne Schwierigkeit allein in den Strassen mich bewegen, wenn auch der Trafik wegen der vielen Cyklen und Automobilen ausserordentlich zugenommen ist. Die Zeit verläuft für mich sehr einförmig, doch habe ich das Glück, drei verheirathete Söhne in guten Stellungen und mit 7 Kindeskindern in meiner Nähe zu haben, und eine vortreffliche isländische Haushälterin (56 Jahre alt), die im Vorlesen unermüdlich ist. Da sie von fremden Sprachen nur Englisch versteht – sie war 4½ Jahre in Simla am Fusse des Himalaya – gebe ich ihr nun täglich Unterricht im Deutschen. Mit ihr war ich || im vergangenen Sommer zwei Monate (Juni und Juli) auf Reisen nach Island, nämlich 14 Tage in Reykjavik bei meinem Sohne, der als Ingenieur namentlich mit der Einrichtung von Leuchttürmen an den Küsten beschäftigt ist, und 3 Wochen bei meinem Schwager, der in Isafjord (im Nordwesten Islands) wohnt, wo er Distriktarzt gewesen ist. Wir hatten durchgehends herrliches Wetter, aber es war für die Jahreszeit kälter als gewöhnlich in Island, so dass täglich im Ofen geheizt wurde. Ein prächtiger Anblick war es um Mitternacht die Gebirge von der Sonne erleuchtet zu sehen. Auch machte ich in Gesellschaft mit einigen jungen Damen (darunter eine Schweizerin) || eine kleine Reittour in der Umgegend von Isafjord.

Ich wünsche Dir nun ein glückliches neues Jahr und verbleibe

in alter Freundschaft

dein

H. Krabbe.

Brief Metadaten

ID
29238
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Dänemark
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Dänemark
Datierung
04.01.1912
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,0 x 20,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 29238
Zitiervorlage
Krabbe, Harald an Haeckel, Ernst; Kopenhagen; 04.01.1912; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_29238