Albert von Kölliker an Ernst Haeckel, Würzburg, 21. Mai 1865

Würzburg 21. Mai 65.

Mein lieber Häckel!

Mit großem Bedauern habe ich gehört, daß Sie in Jena bleiben und sogar über Würzburg böse sein sollen. Bedenken Sie daß, als wir Sie rufen wollten, Sie nur Extraordinarius waren und 700 fl hatten, ein Ordinariat mit 1200 fl mithin nicht zu unansehnlich war. Daß Sie mittlerweile Ordinarius geworden, konnte man in München nicht wissen und wäre man dort sicher höher gegangen, wenn Sie einfach den Sachverhalt auseinandergesetzt hätten. Die Anfrage wegen Bildungsgang etc. scheint Ihnen schlecht vorgetragen worden zu sein, es ist dieß nichts als das kurze Curriculum vitae, das jeder vorlegen muß, der das Indigenat erlangen soll.

Wie gesagt, ich bedauere sehr, daß es mir nicht vergönnt ist, Sie hier zu sehen, erlaube mir aber || auch, Ihnen als gutmeinender Freund zu sagen, daß es in einer gewissen Periode der akademischen Laufbahn sehr gut ist, eine kleinere Universität mit einer größeren zu vertauschen. Bezold hat schon bekannt, daß es etwas ganz anderes sei vor 60 Zuhörern Physiologie zu lesen als vor 20, man „wachse selbst mit“ und strenge sich ganz anders an und so wäre es auch Ihnen ergangen. Von diesem Gesichtspunkte aus kann ich es nicht gerade einen Freundesdienst von Seiten Gegenbaurs ansehen, daß er Sie mit allen Mitteln zu halten suchte. Doch mir steht weiter nicht an, in dieser Sache ein Urtheil abzugeben und ich bescheide mich.

Für die Sendung Ihrer zwei Abbildungen des Caramarinaknorpels bin ich Ihnen sehr verbunden. Ich habe Ihre Carmarina hastata in mehreren Museen gefunden und zwar in Chromsäurepräparaten, die zwar den Knorpel nicht schön wohl aber manches andere sehr schön zeigten und da habe ich etwas anderes gefunden, als Sie angeben, was ich Ihnen pflichtschuldigst mittheile. ||

Ich finde keine radiäre Muskellage und Velum und ist Ihre radiäre Muskelschicht eine Bindesubstanzlage resp. Cuticula, die in ähnliche Lagen des Schirmes übergeht. Roh gezeichnet wie untenstehend.

[Zeichnung mit Beschriftung:

– Muskeln der Subumbrella , Epithel deshalb nicht gezeichnet

– Umbiegungsstelle die keine Muskeln hat

– Ringmuskeln des Velum die bei a aufhören

– Cuticula übergehend in a) die Begrenzung des Radiärkanals b) eine Cuticula der convexen Scheibenfläche. Demzufolge liegt Knorpel und Nerv zwischen dieser Cuticula und dem äußeren Epithel]]

Die fragliche Cuticula des Velum ist radiarstreifig aber ohne Spur von Kernen und Zellen und nur an Chromsäurepräparaten ganz ungetrübt, während alle Muskellagen dunkel sind. –

Ich melde Ihnen diese Kleinigkeit, damit Sie nachsehen, ob ich Recht habe und die Sache ändern, damit ich nicht den Anschein habe, Sie zu verbessern. Ganz unwichtig scheint mir die Sache nicht in so fern es in Frage kommt, aus welchem Epithel der Knorpel und Nerv abzuleiten ist.

Vor einigen Tagen habe ich an Hydra grisea allerwärts Längsmuskeln gefunden, die ich schon lang vermuthe, weil sie || bei allen Hydropolypen des Meeres vorkommen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr A. Kölliker

Brief Metadaten

ID
28917
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Bayern
Datierung
21.05.1865
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,7 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 28917
Illustrationen
anatomische Zeichnung im Text
Zitiervorlage
Kölliker, Albert von an Haeckel, Ernst; Würzburg; 21.05.1865; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_28917