Helisena Koch-Girl an Ernst Haeckel, Augsburg, 11. Oktober 1882

Augsburg 11 Okt. 1882.

Sehr verehrter Herr!

Ebenso erfreut als geehrt durch Ihre freundliche Zuschrift, danke ich Ihnen herzlich für die Mittheilungen über Ihre Schicksale die mir nur lückenhaft bekannt waren. Gerne komme ich Ihrer Aufforderung nach, Ihnen Einiges über die römische Gesellschaft mitzutheilen u. beginne mit der Jüngsten davon, meiner Schwester Angelika, die seit 1865 verheirathet und Mutter von 4 begabten Kindern ist, u. || deren ältester Sohn schon 16 Jahre zählt. Ihr Mann ist Artillerie-Major, ihr gegenwärtiger Aufenthalt Würzburg wohin sie erst von München versetzt worden.

Mein Schwager Hofrath Dr. Diruf ist seit 1859 Badearzt in Kissingen wie Sie wohl schon wißen werden; er verbringt den Winter stets in Würzburg. Viel gesucht u. angestrengt arbeitend, den Sommer über, hat er sehr rasch gealtert. Vor 2 Jahren verlor er seine 2 einzigen Kinder im Alter von 20 u. 21 Jahren. 2 herrlich gerathene, liebenswürdige, blühende, schöne, heitere, witzige Kinder, die ebenso Zierde der Familie als der Gesellschaft waren. Die Tochter starb || in Berlin am Typhus. Der Sohn in Glion am Genfersee wohin er (nach dem Tode der Schwester) mit den Eltern zur Erholung eines bösen Fiebers gezogen war, an Blutbrechen. Er wollte als Mediciner die Universität Berlin besuchen. Das alles in 1/2 Jahre.

Was mich betrifft so floß mein Leben auch nicht immer glatt dahin. 1863 gönnte ich mir nach viel Schwerem einen halbjährigen Aufenthalt in Paris wo ich gerne noch länger studirt hätte, als mich die Nachricht daß meine Schwester Diruf in Kissingena geisteskrank geworden, zu deren Kindern rief. Nach 1/2 Jahr gottlobb wieder hergestellt, kehrte ich heim und zu Pinsel u. Palette zurück, hatte auch Glück dabei und viel Freude daran.

Es war mir aber anders bestimmt, meiner lieben Mutter Wunsch erfüllend, verheirathete auch ich mich im Herbste 1865 und lebe jetzt an der Seite eines rechtschaffenen Mannes, der früher hier Wechselsensal war, ein materiell sorgenfreies Leben, der Erziehung einer einzigen Tochter jetzt 15 Jahre alt gewidmet. Nicht ohne viel Herzeleid bin ich mit jedem Jahre der Kunst etwas mehr entfernt worden. Nicht in jeder Atmosphere gedeiht diese Pflanze und der Augsburger Boden und die Ehe sind der Kunst nicht günstig; so werde ich auch trotz trinken aus der fontana Trevi schwerlich mehr Rom wiedersehen. Aber ein Kind u. diese Freuden sind mehr werth, meine Aufgabe jetzt eine höhere, die nach Kräften zu erfüllen, mein jetziges Streben ist. – Sollten Sie einmal die alte, schöne Reichsstadt paßiren, soll es mich herzlich freuen Sie unter meinem Dache zu begrüßen und Ihnen meinen lieben Mann und meine Tochter vorzustellen. Bis dahin behalten Sie ein freundliches Andenken an die alte römische Reisegesellschaft um dieß

bittet

Helisena Koch geb. Girl

a eingef.: in Kissingen; b eingef.: gottlob

Brief Metadaten

ID
28609
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
11.10.1882
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,2 x 17,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 28609
Zitiervorlage
Koch-Girl, Helisena an Haeckel, Ernst; Augsburg; 11.10.1882; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_28609