Willy Kükenthal an Ernst Haeckel, Singapore und Buitenzorg, 20. bis 27. November 1893
PROF. DR. W. KÜKENTHAL
JENA.
Singapore d. 20 Nov. 93.
Verehrter Herr Professor!
Die erste große Etappe meiner Fahrt ist erreicht und da ich hier einige Tage Muße habe, möchte ich Ihnen kurz von dem bisherigen Verlaufe meines Unternehmens berichten. Fasse ich alle Eindrücke zusammen so muß ich sagen: es ist ganz großartig, ganz unbeschreiblich schön hier im Osten! Nach Colombo, wo wir 24 Stunden verweilten, glaubte ich nichts Schöneres mehr sehen zu können, und doch ist Singapore noch eine Steigerung. || In Ceylon gedachte ich Ihrer oft, und manche Stellen aus Ihren „Reisebriefen“ traten mir vor der Seele, als ich die Excursionen am Flusse entlang, und später nach Mount Lavinia machte. Ihr Buch ist übrigens im Osten überall verbreitet, u. vielen Spaß haben mir die verschiedenartigen Urtheile darüber gemacht, natürlich je nach der Individualität des Einzelnen. So habe ich langweilige Kerle gefunden, die Ihre Schilderungen zu enthusiastisch fanden. Ich glaube dagegen, daß ich Wort für Wort unterschreiben würde, nach dem a was ich von Ceylon gesehen habe. Besonders tiefen Eindruck haben mir neben der üppigen Vegetation auch die Eingeborenen gemacht, deren herrlich gewachsenen Gestalten in dieses Paradies gehören. Bei den „langweiligen Kerlen“ fällt mir || übrigens ein, daß ich als „Reisegefährten“ die Herren Driesch und Herbst hatte, die nach Indien wollten! Nur hatten wir auch noch am Consul Freudenberg einen gemeinsamen Bekannten, so daß ich mich mit beiden Männern der b modernen Wissenschaften nothgedrungen auf Verkehrsfuß stellen mußte, um uns deutsche Gelehrte nicht in schlechtes Licht zu setzen. Sie waren übrigens, besonders Driesch, von einer unheimlichen Liebenswürdigkeit.
Buitenzorg d. 27. Nov.
Da ich den Brief in Singapore nicht mehr zur Post bringen konnte, so erlauben Sie mir wohl meinen Bericht von hier aus fortzusetzen. Nach guter Ueberfahrt blieb ich einen Tag in dem glühendheißen Batavia u. fuhr am nächsten Morgen hier herauf. Im botanischen Garten, wo ich von Dr. Treub freundlich empfangen wurde, fand ich eine ganze Anzahl deutscher Gelehrter vor, v. A. Wiesner aus Wien, Kraus aus Halle und auch v. Graff, an den ich mich bald anschloß. Die muster-||gültigen Errichtungen des Gartens kommen auch den Zoologen zu Gute, jeder von uns hat seinen bequemen Arbeitstisch und auch an Material oft kein Mangel, da ununterbrochen Thiere gebracht, und mit ein paar Cents eingekauft werden. Ich selbst sammle wenig, um Graff nicht Concurrenz zu machen, u. beschäftige mich mehr mit biologischen Beobachtungen. Morgen werde ich eine Audienz beim General-Gouverneur haben, übermorgen leite ich mit Graff eine mehrtägige Excursion ins Innere an, und am 10ten December gedenke ich wieder aufs Schiff zu gehen, um das Endziel meiner Bestimmung, Ternate, zu erreichen. Für die Erforschung Halmaheras habe ich gute Hoffnungen, ich freue mich darauf endlich mit ernsthafter Arbeit anfangen zu können.
Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mir einmal Nachricht zukommen ließen, wie es Ihnen geht u. was im alten guten Jena passiert. Grüßen Sie bitte Ihre Familie, ferner die Herren Stahl, Fürbringer, Biedermann, Semon und Walther von mir und behalten Sie in gutem Andenken
Ihren treu ergebenen
Willy Kükenthal
Graff läßt Sie vielmals grüßen!
a gestr.: fas; b gestr.: W