Kühne, Willy

Wilhelm Kühne an Ernst Haeckel, Berlin, 26. Mai 1865

Berlin 26sten Mai. 1865.

7 Neustädter Kirchstrasse

Mein lieber Haeckel!

Es thut mir sehr leid, daß Du Gründe in solcher Menge gefunden hast die Referate über Anthropologie etc abzulehnen. Ich weiß nicht, ob Du ein Leser des Centralblattes bist; Du wirst daraus aber ersehen, daß in gewisser Weise darin allerdings eine Kritik geübt wird, nämlich in der Wahl der Arbeiten und in der Darstellung, aus der man (besonders bei meinen Referaten) sehr deutlich herauslesen kann, ob der Referent die Ansichten des Verfassers theilt oder seine Thatsachen glaubt. Ich will Dich nicht noch ein Mal bitten die Sache zu überlegen, aber ich kann mir nicht versagen, Dich auf die große Nützlichkeit Deiner Betheiligung || an der Sache aufmerksam zu machen, da Du dadurch Gelegenheit finden würdest über Alles, was Dir zusagt, Deine Meinung gleich vielen Lesern kund geben zu können. Die Referate kosten verhältnißmäßig wenig Zeit; Wie würde ich sonst, der ich zudem so weniga Lust zu litterarischer Arbeit habe, die Sache dauernd ausführen können? Litteratur würden wir Dir stets umgehend von hier in vorwurfsfreier Vollständigkeit zuschicken können.

Ich bin im Begriff Fritz Müllers Brochure für Darwin zu lesen, fürchte jedoch, daß mir die Kenntniße zu ihrer Beurtheilung mangeln: Was kann ich überhaupt thun, welche Arbeiten muß ich lesen, um mich in der Frage gut en courrant zu setzen? Ich möchte für mein Leben gern den Stand der Fragen gut übersehen können, denn wenn ich mit den Arbeiten fertig sein werde, die ich angefangen habe, wünschte ich sehr meine Kräfte || dieserb wahrlich erhabenen Aufgabe widmen zu können.

Daß Czermak in Jena Professor ist, kommt mir noch immer fast unglaublich vor. Der Mensch ist doch von einer merkwürdigen inneren Unruhe! wie oft ist er nun schon mit Kind und Kegel von Ort zu Ort gezogen. Als Lehrer dürfte er übrigens für Jena eine sehr gute Acquisition sein. Wenn Du ihn siehst, bitte grüße ihn herzlichst, desgleichen seine Frau. Was die Leute auch über die Letztere sagen mögen, ich habe sie sehr gern. Ist Jena diesmal auch um einen Juden herum gekommen, so hat es doch wenigstens eine Jüdin mit in den Kauf nehmen müssen. Was wird denn aus Czermaks Laboratorium in Prag?

Ich gratulire zur Erlangung des Ordinariats in Jena. Die Würzburger müßen sehr thöricht sein, wenn sie jenes Maß nicht mal überbieten können.

Mit besten Grüßen an Gegenbaur etc

Dein W. Kühne ||

Mein „Protoplasma“ wirst Du in den nächsten Tagen erhalten.

a korr. aus: sowenig; b korr. aus: diesem

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
26.05.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 28349
ID
28349