Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Graz, 30. Dezember 1915
Graz. Bergmanngasse 10 – 30. Dec. 15
Hochverehrter Freund!
Ich kann das Jahr nicht zu Ende gehen lassen ohne Ihnen einen Gruss zu senden, ein Wort der Verehrung & Dankbarkeit für Ihre uns gerade im letzten Sommer erwiesene grosse Freunde. Durch Ihren lieben Sohn erfahre ich ab & zu wie es Ihnen geht, leider nicht immer was ich wünschte; umsomehr hoffen & erwarten wir vom neuen Jahr, das, als friedensbringendes, uns allen wohl auch über manche persönliche Beschwernis nicht hinweghelfen würde.
Ich selbst schreibe in sehr ernster Stimmung. || Meine Frau liegt im Sanatorium und hat eine sehr schwere Erkrankung so weit überstanden, dass wir nun schon von wesentlicher Besserung sprechen können. – Influenza, daraus eine Pneumonie und dazu eine böse Gesichtsrose, wochenlang mit ängstlich hohem Fieber. Meine arme Frau ist wohl sehr zart & verträgt den Klimawechsel schlecht. Seitdem wir unsre Heimat verlassen mussten, hatte sie wenige Tage vollen Wohlbefindens. – „Der Tag in Jena, sagte sie neulich, war der schönste des ganzen Jahres; ich bin Professor Haeckel so unendlich dankbar für die reitzenden Stunden bei ihm.“
Der Tag war uns ein Sonnenstrahl in die wolkenschwere Zeit, die wir auch nicht leicht tragen. – Möge uns wieder einmal vergönnt || sein, Sie besuchen zu können! Aber alles Sehnen & Wünsche hat das eine Ziel: ein ehrenvoller, gesicherter Friede. Nur kein vorzeitiger, der die Zukunft nicht sicherte vor neuem Leid & Rachedurst. Besser wir Alten leiden noch weiter & mehr, als daß der jetzigen & künftigen Jugend ein neuer Banküberfall drohe und wir können zu den Leitern unserer Schicksale das Vertrauen haben, daß sie das Rechte tun werden.
Bitte: empfehlen Sie von uns Ihrer reitzenden Hausgenossin & mit meiner Frau und Schwester Valentine (die meiner Frau eine bewährte Pflegerin war) herzlichsten Grüssen bin ich
Ihr in Liebe und Verehrung
ergebener
Gustav Krauseneck