Krauseneck, Gustav Adolf

Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 30. Dezember 1912

Triest, am 30. Decemb. 1912

Hochverehrter Freund!

Ich kann das Jahr nicht sich vollenden lassen ohne mich bei Ihnen in Erinnerung zu bringen und Ihnen meine, meiner Frau & meiner Schwester innigste Wünsche für das neue auszusprechen. Die bei Ihnen verbrachten Stunden im August sind mir eine immer wieder empfundene Freude, aber leider getrübt durch das mitgenommene Bild Ihrer äußeren, an die Chaise longue gefesselte Persönlichkeit, das in großem Widerspruch steht mit dem der jugendfrischen inneren. Möge also 1912 die durch Ihren beklagenswerten (wie Sie selbst sagten dummen) Unfall gestörte Harmonie wiederherstellen und Ihnen wieder größere Bewegungsfreiheit bringen. Alles andere, was das Leben || den Erwähltesten bringen kann, wie es in dem schönen Gedichte Dahns heißt:

Liebe, Freundschaft, Volkesruhm

Wissen, Kunst und Heldentum

das ist Ihnen ja in einem Maße zuteil geworden, dessen hätte keine, noch so widerliche Anfeindung schmälern könnte!

Auch Ihrer verehrten Frau Gemahlin bitte ich unsre allerherzlichsten Neujahrswünsche auszusprechen. Ihre Liebenswürdigkeit bei meinem Besuche hat mir einen so schönen Abschluß meiner Sommerreise gemacht, für den ich ihr nochmals herzlich danke und die meine Gedanken gar oft nach Villa Medusa trägt. –

Uns geht es leidlich gut. Die Zeit der Erregung durch die so nahe Kriegsgefahr scheint vorüber zu sein und man darf hoffen, daß wieder normale Zustände eintreten. Aber die große Störung im Erwerbsleben durch die sehr weit gegangenen Einberufungen auch älterer Jahrgänge zur Armee und die vollständige Stockung aller Geschäfte in den uns so nahen Balkanländern hält noch an und bewirkt tägliche Berührungen mit den Opfern derselben. – || In unserem engeren Kreis sind wir durch die Erkrankung meiner Schwiegermutter in Rom empfindlich berührt. Sie hat einen Schlaganfall gehabt & ist in recht traurigem Zustand. Meine Frau war einige Wochen bei ihr und ist mit sehr traurigen Eindrücken zurückgekehrt. Da sie nicht alt ist, kam die Sache um so unerwarteter und ist uns nun ein recht trübseliger neuer Anlaß zu den nicht so fröhliche und genußreichen Fahrten nach Rom geworden. Das Altwerden empfindet man am schmerzlichsten an den Andern. Wenn man selbst nicht zu klagen hat, fühlt man um so lebhafter die Hiebe, die die Zeit rechts & links austeilt!

Ich küsse im Geiste Ihre liebe Hand, die mir vielleicht 2 Worte bringt, denen ich entnehmen kann, daß Sie mit dem Fortschritt Ihrer Genesung nicht unzufrieden sind und die wahrhaft beglücken würden Ihren immer in Verehrung und mit den innigsten Grüßen ergebenen

Gust. Krauseneck

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
30.12.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27823
ID
27823