Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Gossensass, 22. September 1906

Gossensass, am 22. Sept. 06.

Hochverehrtester Freund!

Vielen, innigsten Dank für Ihren Brief aus Wildungen, der zwar die traurige Mittheilung brachte, daß Sie auf den beabsichtigten Rutscher nach Tirol verzichten mußten, aber diese bittere Pille so reichlich versüßte, daß wir Alle – meine Frau, Valentine und ich – uns doch unendlich freuen konnten. Vor allem über die günstige Schilderung Ihres und Ihrer Frau Gemahlin Kurerfolges, der Ihr lästiges Leiden hoffentlich definitiv beseitigte, und dann über Ihre Absicht, vielleicht doch noch einmal nach Triest zu kommen. Es wäre so schön, wenn der Plan zur Ausführung käme, daß ich mich noch gar nicht getraue, mir das ganze näher auszudenken. ||

Sie werden ja überall mit Verehrung und Bewunderung aufgenommen; aber die wahrhafte Herzensfreue Sie wiederzusehen wird Ihnen bei uns entgegenschlagen. Möchten Sie sich endlich & zu guter Zeit dazu entschließen können. Ich bemerke nur zur Ermöglichung der Feststellung aller Details, daß wir auch Ihre Frau Gemahlin bei uns sehr gut aufnehmen könnten, wenn ihre Ansprüche nicht zu hohe sind, und daß doch wohl das Frühjahr – Mai bis Mitte Juni – für Ausflüge in die Umgebung die geeignetste Zeit wäre. Sie würden manches Neue sehen. Fabriken, Hafenanlagen, Eisenbahnen & Badeorte verschönern ja die alten Bilder nicht; aber Sie sinda nicht blos Künstler und freuen sich auch über den Fortschritt des materiellen Menschenzustands. Ich glaube an einen sehr bedeutenden Aufschwung Triests in der nächsten Zeit, den allerdings große staatliche & andre Unternehmungen begünstigen; || der culturelle Gedanke dabei ist aber doch – trots unserer politischen Zerfahrenheit – der, daß das deutsche Wirtschaftsgebiet dieses Eingangs- und Ausgangsthor am mittelländischen Meere haben muß und daß dieses mit jenem in die Höhe kommen muß.

Obwohl wir dadurch um die Freude kommen, Sie jetzt zu sehen, muß ich aber doch anerkennen, daß es sehr weise war, nach dem Bade nicht in die Berge zu kommen. Gerade am 15ten trat der starke Wettersturz ein. Es schneite hier bei 2° R. & man saß in geheizter Stube. Der Himmel ist meist trübe & daher konnte ich kaum einige größere Spaziergänge machen – von erquicklichen Bergtouren ist gar keine Rede & auch meine Absicht, auf der neuen Pordojstraße (Fassathal – Cortina) nach Hause zu fahren, bleibt unausgeführt. Es ist dies ein Straßenbau, der wohl zu den großartigsten Werken dieser Art gehören wird, wenn er bis Cortina || fertig sein wird. Die damit verbundenen Übergänge – besonders nach Buchenstein – sind von den schönsten in den Dolomiten.

In wenigen Tagen schnüren wir unser Bündel wieder & wollen nach Hause gehen. Valentine & meine Frau senden die schönsten Grüße & Wünsche für einen guten Herbst & Winter; ich bitte uns auch Ihrer verehrten Frau Gemahlin zu empfehlen und ich umarme Sie, hochverehrter Freund, in aufrichtiger Dankbarkeit für Ihre Freundschaft in alter Treue

Ihr ergebenster

G. Krauseneck

Von Ihrem Schützling Stud. Bachmann haben wir nichts mehr gehört. Ich meine, er wird sich gut durch’s Leben bringen. – Bitte bei Wiederholung solcher Besuche bei uns nur Verweisung an mich; ich freue mich immer sehr darüber.

a eingef.: sind

Brief Metadaten

ID
27811
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Gossensass
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreichisch-Ungarische Monarchie
Datierung
22.09.1906
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,3 x 17,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27811
Zitiervorlage
Krauseneck, Gustav Adolf an Haeckel, Ernst; Gossensass; 22.09.1906; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_27811