Triest, am 14. Sept. 1897.
Hochverehrter Freund!
Gestern haben wir unsern lieben guten Vater zu Grabe geleitet, nach dem er sich schon vor dem schweren Anfall im vorigen Jahre, der ihn uns in fast völliger Umnachtung zurückgelassen, so oft gesehnt hatte. Seit mehr als einem Jahre war sein Leben nur mehr körperlich, er kannte uns kaum, sprach überhaupt sehr wenig und man konnte ihm nur wünschen, daß der Tod ihn von seinem Leide befreie.
Als er dann ohne nähere Veranlassung plötzlich, aber doch sanft & ohne schweren Kampf, eintrat; waren wir dennoch schwer || erfasst von dem Gedanken, ihn nun für immer verloren zu haben. Er war im 85. Jahre und fast 55 Jahre glücklichster Ehe liegen hinter ihm. – Auch Sie, verehrter Herr Professor, haben ihn gekannt & geliebt, da er noch er war: stark, edel & erfüllt von allem Wahren & Guten. Darum liebte er auch Sie so von ganzer Seele!
Ich empfing nämlich mit großer Freude Ihren Gruß mit dem prächtigen Nachruf an Fritz Müller. Ihn lesend genoss ich wieder ein Stündchen des Verkehrs mit Ihnen & freute mich unendlich, daß Sie Werth darauf legen, der Alte zu bleiben & auch in die kommende, immer fauler werdende Zeit hinein rücksichtslos dem der’s verdient ein hartes Wort zuzurufen. || Wo werden Leute, wie dieser prächtige Mensch, herkommen, wenn Alles Intresse der Deutschen aufgeht in Zoll & Tariffragen, in Börsenkursen & Wahldienerei vor der Gesinnungslosigkeit. – Und ohne starke Charaktere wird sich auch diese beste, ruhmvollste und begabteste Volk auf seiner Höhe nicht halten können.
Dennoch glaube ich nicht an Verfall – aber eben darum an ein nicht sehr fernes schweres Gewitter. –
Wie geht es Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin? Wir möchten so unendlich gern wieder einmal von Ihnen hören. Ganz verziehen hab ich’s Ihnen noch nicht, daß Sie in Venedig waren und mich nicht vor den Degen citirten; vielleicht aber || führen Sie Ihre Schritte wieder Italien zu? Wir waren in Tirol & vorher in schwerer Wassernoth im Salzkammergut. Rathlos wie die Mäuse laufen die Menschen die Berge hinauf, wenn ihnen das Wasser an die Knöchel kommt – besonders diese jammervollen Großstädter, die einem heute die herrlichsten Berge zu Promenaden & Salons machen wollen. Valentine war noch auf den Bozner Bergen, als wir sie an den Sarg ihres Vaters rufen mußten. Sie, so wie meine gute Mutter & meine Frau tragen mir alles Schönste an Sie & die verehrten Ihrigen auf und ich schließe mich Ihnen an mit der Versicherung meiner unwandelbaren Verehrung als
Ihr treuergebener
Gust. Krauseneck