Klobenstein bei Bozen. 7.8.95
Hochverehrter Herr Professor!
Ich lese eben in der Münchner Allgemeinen Zeitung von Ihrem Unfalle, über den Ihnen mein lebhaftestes Bedauern auszusprechen, ich nicht zu unterlaßen vermag. Ich sehe daraus nur, daß es sich um einen Beinbruch handelt, der Sie für einige Wochen zum liegen zwingen wird und hoffe daher, daß das ganze eine bald vorübergehende Sache ist, die keinen bleibenden Nachtheil mit sich bringt; aber immerhin ist es ebenso peinlich als widerwärtig, sich durch einen so überflüssigen Zufall um seine Ferien betrogen zu fühlen. Auf die höchsten Berge aller || Breiten sind Sie hinaufgekommen ohne sich zu beschädigen und auf einem Spaziergang vielleicht holen Sie sich einen Beinbruch! Hätte ich davon noch in Karlsbad gehört, so wäre ich über Jena nach Tirol, um Sie zu sehen; nun von hier aus geht das nicht und die schöne Aussicht auf ein Zusammentreffen mit Ihnen in diesen herrlichen Bergen ist auch zu Wasser geworden, wie so mancher schöne Plan.
Meine Frau, sowie meine Schwiegereltern, die gleichfalls hier sind, schließen sich meinen Grüßen an und wollen auch ihrem aufrichtigen Bedauern Ausdruck gegeben wissen. Kopf macht hier den Landschaften Concurrenz und producirt Pastellbilder fabriksmäßig. || Die guten alten Dolomiten mußten sich nach & nach daran gewöhnen den Berufenen und sehr vielen Unberufenen aller Nationen täglich von allen Seiten abconterfeit zu werden; kein Wunder daß sich ihr Zorn derweilen in häufigen Gewittern Luft macht.
In München bei den Secessionisten mußte ich auch vielfach an Ihr Urtheil über diese wenig erfreuliche Kunstrichtung denken. –
Ein Wort der Bestätigung, daß Ihr Leiden nicht schlimmer ist, als ich mir es vorstelle, würde mich sehr beglücken & mit der Bitte mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin angelegentlich zu empfehlen
Ihr Sie sehr verehrender
G. Krauseneck