Gustav Adolf Krauseneck an Ernst Haeckel, Triest, 8. Juni 1895

Triest, am 8. Juni 1895.

Hochverehrter Herr Professor!

Vielen Dank für Ihre viele Freundlichkeit. Vor Wochen ergötzte ich mich an Ihrer Umsturzbrochure & nun kommt auch der geliebte Monismus in weniger geliebtem Italienisch. Ich freue mich sehr darüber; ein Erfolg dieser Arbeit könnte vielleicht eine Übersetzung der Schöpfungsgeschichte verbürgen, die, wie ich glaube, in der Sprache Galileos noch fehlt. Ihr Übersetzer scheint mir dem Namen nach ein Triestiner; sprachkundige Freunde finden seine Italianität hie & da nicht ganz gelungen. Sie haben immer, wie alle Norddeutschen, viel Sympathie für Italien gehabt & damit für seine Bevölkerung. || Allein es ist die ganze Nation blutwenig werth. Wenig Ehrlichkeit, wenig Arbeitsamkeit, wenig Bescheidenheit und dabei die größte Selbstverherrlichung – alles Dinge die dem Volke keine große Zukunft versprechen. Dazu das elende Staatswesen & somit der Mangel aller Erziehung. Möge ich damit ja schwarz sehen; aber wir im Süden & an der Grenze im täglichen Contact mit dem Citronenland sind etwas abgekommen von der alten Bewunderung. Dennoch möchte ich sehr gern wieder einmal auf Streifzüge dahin gehen!

Da Sie zum Schicksal des Umsturz-Blödsinnes einiges beizutragen haben, so darf man Ihnen dazu auch Glück wünschen. Könnten Sie nicht bei uns einige auf der Tagesordnung stehende legislaturische Monstra helfen zur Ruhe zu bestellen? || Es ist eine Schmach, auf welchem Punkte nach Jahrhunderte langer Arbeit die sog. Rechtswissenschaft, deren vornehmste Aufgabe doch die Gesetzgebung ist, angekommen ist. Es ist schon lange meine Überzeugung daß der ganze Plunder die Wege der Theologie und vieler Philosophien zu wandeln beginnen – und historisch interessantes, vollkommen werthloses Gerümpel werden wird. Aber die ehrwürdigen Heiligenscheine dieser Disciplinen glänzen immer noch & blenden Viele. – Dabei halte ich aber doch zu Ihrem Satze & glaube an ein Anders- und Besserwerden in der Welt.

Bei Ihnen, verehrter Freund, ist es den Winter über hoffentlich besser ergangen, als bei uns. Mein armer Vater ist in einem Zustand gänzlicher Hilflosigkeit & sehnt sich nur noch nach dem Ende. Er hat vor kurzem einen schweren Sturm überstanden, aber er kann sich nicht mehr erholen. Die Beine versagen völlig, das Gedächtniß hat sehr gelitten & unzählige Beschwerden verbittern ihn Tag & Nacht. Es ist für uns eine sehr traurige Zeit & es bedarf aller Energie sich darin immer aufrecht zu halten. Wir || übrigen sind wolauf & wenn möglich wollen wir – wenn Frau Valentine & ich abwechselnd etwas Erfrischung in Tyrol suchen. Haben wir keine Aussicht, Sie dort zu sehen? Mein Schwiegervater war in Griechenland & ist sehr wolauf, seine Frau ist bei uns. Von ganzem Hause Ihnen & Ihrer verehrten Frau die herzlichsten Grüße & Wünsche & ich kann Ihnen nur nochmals für Ihre mich so sehr erfreuenden Erinnerungen danken, die mir so ungemein werthvoll sind.

Wenn Sie Tyrol berühren, so laßen Sie es mich wißen; ich möchte selbst gerne Sie begrüßen können.

In treuer Verehrung & Freundschaft

Ihr ergebener

G. Krauseneck

Brief Metadaten

ID
27789
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreichisch-Ungarische Monarchie
Datierung
08.06.1895
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,8 x 20,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 27789
Zitiervorlage
Krauseneck, Gustav Adolf an Haeckel, Ernst; Triest; 08.06.1895; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_27789