Würzburg, 5. Octob. | 1892.
Hochverehrter Freund!
Wie anmuthend steht Ihre Villa da, an italienische Landhäuser erinnernd! Es mag sich darin gut wohnen lassen und auf der Veranda kann man wohl auch bei Wind und Regen es aushalten. Ich denke mir, daß Sie von der letzten Reise an die See doch wieder gern in dieses Heim zurück gekehrt sind.
Die zwei Werke sind mir richtig zugekommen. Stupendo! Wie nur ein einzelner Mann, auch wenn er einige Mithülfe hat, im Laufe weniger Jahre solche Werke hervorbringen kann! Ganz abgesehen von Talent, wissenschaftlichem und künstlerischem Sinn, ist hierzu eine ganz außerordentliche || physische Kraft und Energie des Geistes erforderlich, um bei einer Arbeit von diesem Umfang und dieser Tiefe nicht zu ermüden. Mit Bewunderung durchgehe ich die Tafeln: Linienführung, Anwendung von Licht und Schatten, Gruppirung der Figuren, Alles verräth den Meister der Wissenschaft und der künstlerischen Darstellung. Wie Schade – muß ich fortwährend mir sagen –, daß derartige Leistungen nur vor die Augen weniger Leute kommen!
Mir selbst wären die Werke ja unbekannt geblieben, wenn ich nicht Ihrer Güte die Gelegenheit zu verdanken hätten, sie zu sehen.
Aber, lieber Herr College, behalten kann ich die Bücher nicht. Solche Schätze verschenkt man nicht. Das sind keine „Sonderabdrücke“! Gar Manches deutet mir an, daß es Ihre eigenen Exemplare sind. Lassen Sie mich daher die Bitte stellen, die Werke 1–2 Monate benutzen zu dürfen, da ich mit Staunen die || Fülle einer mir fremden Thierwelt des Meeres blicke, als dann aber wollen sie gestatten, daß die Werke nach Jena zurückgehen. (Die zwar schön lautenden Worte der Widmung, welche indessen der Wirklichkeit nicht entsprechen, werde ich auslöschen.)
Über die Tafel vor dem Titel der neuen Auflage der Anthropogenie hätte ich Sie gern schon in Rothenburg gefragt um zu erfahren, wie Sie gearbeitet haben. Die Figuren, welche die Metamorphosen des menschlichen Angesichtes zum Ausdruck bringen, hier in hohem Grade bewundernswerth, ein vollkommenes Sichdurchdringen von realistischer und idealer Auffassung. Hat Porträt und Antike zugleich gedient?
Die Photogramme bin ich so frei beizulegen und bitte um gefälligen Austausch. Ihr Bild besitze ich nur aus sehr früher Zeit.
Auch erlaube ich mir einige literarische Sächelchen mit gehen zu lassen, obschon ich weiß, daß Sie solchen „Kleinkram“ nicht sonderlich achten.
Mit freundschaftlichen Grüßen
Ihr ergebenster
F. Leydig.