Prof. Dr. OTTO LEHMANN
techn. Hochschule
KARLSRUHE
K. 12.II.1918.
Sr. Exzellenz Herrn Geheimrat E. Haeckel, Jena.
Hochgeehrter Herr College!
Vor kurzem habe ich im hiesigen naturwissenschaftlichen Verein die Lichtbilder und
Kinematographenfilms soweit in einem zweistündigen Vortrag möglich, vorgeführt. Herr Prof. Böthlingk (Historiker), den Sie wohl kennen, war davon so begeistert, daß er das nachfolgende Gedicht darauf machte:
„Unserm Karlsruher Necromanten zur Erinnerung an den 1.II.1918.“
„Schaut, was als Erster ich erschaut:
wie der Kristall sich auferbaut!
Ein wirres Durcheinander jetzt,
wo Eins das andre drängt und hetzt;
im nächsten Nu – Zusammenfluss! ||
Urplötzlich dann ein fester Schluss!
Was in einander sich geballt
verwandelt sich in Neu-Gestalt
gleichartig, regelrecht im Bau,
schier mathematisch streng genau.
Dann wieder formlos, wild chaotisch,
beweglich wie der flinkste Schnellfisch,
der hungernd frisch ins Wasser kommt,
bis wohl gesättigt, es ihm frommt.
Ein endlos Werden und Vergehen,
in ewigem Fluss, kein Stillestehen,
und wiederholend doch die Form
nach kämpfend selbsterrungener Norm!
Das wäre eignes Leben nicht,
das seinem Selbst die Bahn sich bricht?
Wär kein organisches Gebild,
aus dem das höhre Leben quillt?
0, ob der Blöden Kurzgesicht! ||
Sie sehn den Wald vor Bäumen nicht!
Ein Tropfen nur im Weltenmeer –
was ist des Menschen Geist denn mehr?
Das Leben, das die Brust uns hebt,
wär nicht, was rings das All durchbebt?
Das ewig rege Sein im All
Käm nicht zu gute dem Kristall?
Das All – das Wort bezeugt’s – ist Eins,
zerklüftest Du’s, so ist es keins.
Wie alles stets sich wandeln muss,
ist Leben nur des Ew’gen Fluss.
Das παντα ρει des Heraklit
bleibt aller Wissenschaft Granit“
Arth. Böthlingk.
Zur Vorführung der Lichtbilder benutzte ich einen von mir neu konstruierten Nebelbilderapparat, welcher von 4 Gehülfen bedient wurde, die aber nur die Bilder aufzusetzen hatten, während das Anzünden der Lampen, die abwechselnd in Tätigkeit traten, von mir vom Pulte aus immer im richtigen Moment besorgt wurde, ebenso das Anlassen des Kinematographen. Nur so war es möglich, in 2 Stunden auszukommen und die Beunruhigung der Zuhörer durch das Wechseln der Bilder zu vermeiden. An einem fremden Orte geht es natürlich auch nicht anders, das Transportieren von Apparaten ist aber heute noch schwieriger als das Reisen, so daß ich leider in absehbarer Zeit nicht daran denken kann, einen Vortrag auswärts zu halten.
Ich lege noch einen Bericht über einen andern Vortrag, den ich im naturw. Verein gehalten habe, bei, der sich auf W. Siemens und die Engländer bezieht.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebenster
O. Lehmann.
Meine Schrift in d. „Ergebnissen der Physiologie“ wird erst Ende des Monats erscheinen, obschon sie schon seit Mitte Oktober gedruckt ist.