Jena, 22/ I 1909
Lieber Freund!
Gestatten Sie mir, Ihnen eine tief empfundene herzliche Bitte auszusprechen. –
Seit Sie mir vorgestern sagten, dass Sie, am 12 dieses Monats, im Volkshause zu Ehren Darwins einen Vortrag halten wollten, erfüllt mich die Sorge, dass Sie hierbei Gelegenheit nehmen könnten, von Neuem die Schale ihres Zornes über Ihre Gegner auszugießen.
Um Ihrer Ruhe willen und im allgemeinen Interesse möchte ich Sie bitten, hiervon abzusehen.
Darwins große Tat dürfte doch am würdigsten und besten durch eine sachliche Darstellung seiner Deszendenztheorie in das rechte Licht gesetzt werden und solche Darstellung || würde Ihrem hohen wissenschaftlichen Ansehen am meisten entsprechen. –
Ein Eingehen auf die von Ihnen in unendlich reicher Arbeit begründete Weltanschauung bedarf es zu Darwins Ehrung nicht, würde Sie aber voraussichtlich zu neuer heftiger Polemik gegen andere Weltanschauungen veranlassen. ‒
Sie würden den zustimmenden Jubel einer mit Allem unzufriedenen Volksmasse erzielen, aber sich doch selbst sagen müssen, dass diese Jubelnden nur zum kleinsten Teile urteilsfähig sind. Sie jubeln, weil Sie einreißen, sind aber sehr weit entfernt, Ihre Ideale anzuerkennen, richtig zu würdigen und sich ihnen unterzuordnen! –
Ich glaube kaum, dass der große Mann, dessen || Gedächtnis Sie feiern wollen, mit solchem Vorgehen einverstanden sein würde. –
Jedenfalls würden neue Angriffe auf Sie folgen, die Ihnen neue Aufregungen bringen und unserer teuren Universität unliebsam sein müssten. Beides möchte ich gern vermieden sehen! –
Bitte, liebster Freund, zürnen Sie mir nicht wegen dieser Auslassung. Sie wissen, daß dieselbe aus einem Ihnen treu ergebenen Freundesherzen kommt!
Sollten Sie eine Aussprache wünschen, so bin ich zu solcher stets sehr gern bereit.
Mit herzlichstem Gruße in unwandelbarer Verehrung
Ihr
treu ergebenster
Eggeling