Heinrich von Eggeling an Ernst Haeckel, Jena, 16. November 1903

Jena 16 Nov. 1903

Hochverehrter Herr Professor!

Sehr lieber Freund!

Eine Erkrankung, die mich fast eine Woche an das Bett fesselte und noch immer sich recht unliebsam bemerklich macht, ist die Ursache, weshalb ich noch nicht für Ihre freundlichen Zeilen vom 3 dieses Monats gedankt habe. Bitte, verzeihen Sie meine Säumnis und nehmen Sie auch den verspäteten Dank noch freundlich an.

Wir haben uns der guten Nachrichten, die Sie geben konnten, riesig gefreut und wünschen von ganzem Herzen, daß diese wohl begonnene Reise ebenso verlaufen und Ihnen und Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin || rechte und dauernde Erfrischung bringen möge! –

Wenn mir nicht die Empfindung des Neides überhaupt, Ihnen gegenüber aber so ganz fern läge, ich könnte Sie wegen dieses von Ihnen so verlockend geschilderten Aufenthaltes am Golf von Rapallo beneiden! Daß solch ein Gefühl sich regt, ist bei unserem scheußlichen Klima nur zu begreiflich. Möge Ihnen der Himmel weiter günstig sein und nur erquickende, linde Lüfte senden! –

Ich habe mir auf unbekannte Weise eine Infektion zugezogen, die mehrtägiges hohes Fieber mit sich brachte; man nennt es dann Influenza und läßt uns dann Salixgrin oder dergleichen schlucken, welches das Fieber zwar stillt, aber den Magen verdirbt. Früher || sagte man: Schnupfenfieber; freilich hat sich bis jetzt kein Schnupfen entwickelt und nur ein leichter Bronchialkatarrh machte sich zeitweise bemerklich. Heute bin ich übrigens schon wieder in der Stadt gewesen, um meinen Bürgerpflichten nachzukommen und den Gemeinderath zu wählen; aber die Arbeit will noch gar nicht schmecken und noch weniger flecken. –

Hier im Wesentlichen Alles beim Alten. Der neue Bibliotheksdirektor Dr. Brandis ist eingetreten und wird der Sache hoffentlich neuen Aufschwung geben. Der neue Fechtmeister soll demnächst berufen werden; wenn es ihm doch gelänge, rechte Festkunst zu lehren und zu verbreiten; dann wäre ja vielleicht zu hoffen, daß der Anblick der Commilitonen wieder ein erfreulicher würde. || Das Semester scheint recht gut zu werden; wir hatten bis vor wenigen Tagen nur etwa 25 mehr Ab- als Zugang, während der Winter sonst regelmäßig 100 weniger brachte. Auch die Mediciner haben in den jüngeren Semestern wieder zugenommen; Präpararsaal: 60!

Bei Lorenz geht es noch immer sehr, sehr traurig, aber scheinbar doch nur langsam abwärts; eine baldige Erlösung von seinem schweren Leiden wäre ihm zu gönnen. Ist aber solcher Wunsch richtig und berechtigt? Auch der schwer Leidende hat doch immer noch Momente freundlichen Sonnenscheins, in denen er sich des Lebens freut. Würde das Nirwana oder, was sonst an die Stelle des Lebens tritt, für den Verlust jener Freuden Ersatz bringen? In diesem Falle stimmen Sie jedenfalls auch in das ignorabimus ein. Aber freilich Sie werden meine ganze || Fragestellung verwerfen! –

Lassen Sie sich denn die „Jenaische“ nachsenden? Ich vermuthe es; denn Sie sind ein viel zu treuer Jenenser, als daß Sie von dem Bedürfnisse frei sein könnten, die Kenntniß der hiesigen Verhältnisse auf dem Laufenden zu erhalten. So werden Sie von dem unerquicklichen Streite: Professor Weber gegen Singer wissen. Möchte das Schiedsgericht den Streit glücklich beilegen!

Von Ihrem Institute sehe und höre ich nichts. Den braven Pohle sah ich heute Mittag auf der Straße, als ich zur Wahl fuhr. –

Die Universität ist in nicht geringer Erregung darüber, daß diejenigen, welche auf das Steuerprivileg verzichtet haben und mehr als 3000 M Einnahme zu versteuern haben, am nächsten Donnerstag zur Wahl eines Landtagsabgeordneten nach Apolda fahren sollen. Man hält diese neue Belastung für unerträglich, || hätte sich das aber doch vorher deutlich machen sollen, als man immer wieder die Beseitigung des Privilegs forderte. Ich halte die Bestimmung unseres Wahlgesetzes, welche das Zusammentreten aller sogenannten Tausendthaler-Männer eines Wahlbezirks an einem Orte vorschreibt, auch für höchst unglücklich und lästig, sehe aber ein, daß sich ein Wahlgesetz von heute auf morgen nicht ändern läßt und habe mich bisher schon in die große Unbequemlichkeit gefügt; dieses Mal werde ich mich freilich entschuldigen müssen, weil mein Zustand mir die Fahrt nicht gestattet. –

Meine Frau sendet mit mir Ihnen und Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin die herzlichsten Grüße und allerbesten Wünsche. Sie läßt Ihnen noch besonders sagen, daß sie viel lieber auch in Rapallo wäre! Unsere Kinder lassen sich Ihnen herzlichst empfehlen; sie waren eben flüchtig hier auf dem Wege zum akademischen Convente, das nun in dem glanzvollen Saale stattfindet, den Abbe hat errichten lassen; ein neues Wunder von Jena. –

Bleiben Sie gesund und gedenken Sie freundlich Ihres

bis immer treu ergebenen

Eggeling

Brief Metadaten

ID
2639
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
16.11.1903
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
13,5 x 19,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2639
Zitiervorlage
Eggeling, Heinrich von an Haeckel, Ernst; Jena; 16.11.1903; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_2639