William Marshall an Ernst Haeckel, Leyden, 12. Januar 1867

Leyden 12. Januar. 1867.

Sehr geehrter Herr Professor!

Ein reuiger Sünder trete ich vor ihr Tribunal. Ich bin Darwinianer geworden! Was alle Kraft der Worte bei mir nicht erlangen konnten, brachte in der kurzen Zeit eines Vierteljahres das eigene Anschauen zu Wege. Hier in diesem kolossalen Museum, vor diesem immensen Material habe ich die Flagge gestrichen, ich sehe ein, dass die Ansichten des unsterblichen Darwins und die Ihren, sehr geehrter Lehrer, die richtigen sind. Auch vorher, ich will offen sein, war ich dem Darwinianismus nicht sogar abhold, aber eine falsche Art Consequenz verführte mich bei der Meinung zu || zu verharren, die ich mir ohne Kenntniss der Sache gebildet hatte, und das Urtheil nicht aufzugeben, das ich mit naseweiser Ingnoranz über eine Sache gefällt hatte, von der ich so wenig verstand, wie ein Hottentotte. Noch ein Moment kam hinzu, der mich, den Anfänger, mächtig trieb, nehmlich der Geist der Opposition, was andre, hoch gelehrte, Forscher zu Gegnern unsrer Theorie machte, weiss ich nicht, aber – vielleicht standen sie darin auf einer Stufe mit dem Anfänger. Ich möchte Sie wären einige Zeit hier, Sie würden unendlich viel Schätzbares finden, was ich nicht ausbeuten kann bei meinen geringen Kenntnissen und auch nicht ausbeuten darf; „Darf“, das will nehmlich heisen, mein Vorgesetzter, Director Schlegel, ist ein Gegner, und ich möchte den alten Herrn, den ich sehr achte und als einen tüchtigen Forscher habe || kennen gelernt, nicht beleidigen. Doch ich will Ihnen nur ein Ding mittheilen, aus der Reihe der vielen, die ich hier beobachtet habe. Auf Timor-Lant lebt eine Malcyonide, der Nahme ist mir eben entfallen, thut auch nichts zur Sache, bei der die zwei mittelsten Schwanzfedern die Länge des ganzen übrigen Vogels erreichen; die Schäfte sind kurz befiedert bis zur Spitze, wo sich die Befiedrung erweitert; die kurze Befiedrung ist hell himmelblau, die der Spitzea weiss. Auf Neu-Guinea lebt ein aehnlicher Vogel, etwas kleiner, dessen Mittel-Schwanzfedern sehr wenig länger sind als die übrigen Schwanzfedern, ganz hellblau. Natürlich zwei Arten! – Aber, auf den kleinen Inseln, zwischen Timor-Lant und Neu-Guinea, findet sich die ganze Abstufungsreihe, ja Exemplare mit einer mehr weissen und || einer mehr blau gefärbten Feder! Sollte die Sache Sie interessiren, so bin ich gern erbötig Ihnen Genaueres mitzutheilen, hierüber so wie auch über Papageienarten et.c. Ich habe sehr viel zu thun, eben bin ich mit dem Ordnen einer grossen vergleichend-Anatomischen Sammlung fertig, die für 2500 Gulden erworben wurde, reich an schönen Praeparaten, z. B. die ganze Anatomie von Python bivittatus, Embryonen und Foetus vom Orang-Utang, Delphin, Walfisch, Elephant, Nashorn et.c. Jetzt bin ich beim Ordnen der in Weingeist befindlichen Mollusken, zehn grosse Schränke! – Mit einem herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahre schlies ich, möchte Ihnen und Ihrer werthegschätzten Frau Gemahlin alles Gute zu Theil werden. Mit der Bitte mich derselben und deren sehr geehrter Familie bestens zu empfehlen, bleibe ich

Ihr dankbarer Schüler

William Marshall.

a korr. aus: Spietze

Brief Metadaten

ID
26234
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Niederlande
Entstehungsland zeitgenössisch
Niederlande
Datierung
12.01.1867
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,4 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 26234
Zitiervorlage
Marshall, William an Haeckel, Ernst; Leiden; 12.01.1867; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_26234