William Marshall an Ernst Haeckel, Leiden, 27. März 1868

Leyden 27. März 1868.

Sehr verehrter Herr Professor!

Meinen herzlichsten Dank für Ihren werthen Brief, der mich hoch erfreute. Was Sie mir sagten, daß man als Darwins Anhänger viel mehr Genuß in der Arbeit fände, fühle ich jetzt schon als eine große Wahrheit. Als nicht Darwinist wäre es mir traun [!] unmöglich gewesen, die gewaltige Fledermaussammlung zu ordnen und zu etiquettiren et.c.; ich wäre vor Langeweile verzweifelt, so aber habe ich, wie ich glaube, großen Gewinn aus der Arbeit gezogen; ich möchte vermuthen, daß es unter den Säugethieren wohl wenig Gruppen giebt, die so für des großen Mannes Theorie sprechen, wie die der frugivoren Fledermäuse, Pteropus, Brachysoma et.c, diese unendliche Varietaetenreihe je nach Inseln motificirt, und diese höchst interessante Verbreitung. || Unser ganzes Museum ist für Studien zur Bestätigung der Ansichten Darwins, wie geschaffen. Denn nur bei einem großen Material wird es möglich Uebergänge zwischen zwei oder mehrern im frühern System getrennten Arten zu finden. Von der Gattung der aechten Pteropus, bei A. Wagner 21 Arten, haben wir Beispielsweise über 200 Häute und ebensoviel Scelete und Schaedel, während Gray in dem Catalog des brittischen Museums deren nur einige 50 aufweißt! Ihrer gütigen Auffordrung betreffs der Jenaischen Zeitschrift, werde ich nachzukommen mich bemühen, ich glaube daß grade die Pteropi einen hübschen Stoff zur Bearbeitung liefern. Einen großen Gefallen würden Sie mir thun, wenn Sie mir einige Gesichtspunkte, von denen bei der Arbeit ausgegangen werden könnte, gütigst mittheilen wollten. Leider kann ich Ihnen auf Ihre Frage wegen des Tauschens, keine Auskunft geben, Dr. Herklots, Conservator über die wirbellosen Thiere, befindet sich seiner Gesundheit wegen schon seit längerer Zeit in Vevey und so ist es || fürs Erste nicht möglich etwas abgeben zu können, da das Material noch nicht genug gesichtet ist und Director Schlegel befürchtet in Herklots Arbeiten etwa störend einzugreifen. Embryonen haben wir allerdings viel, aber bei der Seltenheit der von Ihnen erwähnten Gruppen, fehlt es an Doupletten, der Director hat neulich noch einen Balaenopteraembryo für 250 Gulden gekauft. Bei den Aplacentaren ließe es sich noch ehr machen, von Phalangista denkt D. S. abgeben zu können, er will nachsehen, was jedenfalls aber noch einige Zeit dauern wird und öftere Erinnerung von meiner Seite wird Noth thun, ich kenne das. Mit stiller Wehmuth habe ich gelesen, daß Sie nächsten Sommer Palaeontologie und über Coelenteraten lesen wollen, ich sage mit stiller Wehmuth, denn Sie glauben kaum, wie matt hier das wissenschaftliche Leben ist; ganz auf sich selbst angewiesen zu sein ist für einen Anfänger ein trauriges Ding, und von dem Director kann ich keine Anregung erwarten, da er sich ganz von seinen Vogelbälgen absorbiren läßt. So lang ich hier bin, habe ich noch keinen Blick durch’s Mikroskop || werfen können, bei den kurzen Tagen fehlt es an Zeit. Viel verliere ich am Ende nicht dabei, jedenfalls mache ich hier eine gute Schule durch – Wie es mein Uebertritt zum Darwinianismus glänzend beweißt. Daß Jena schwach besucht ist, war denkbar, eine Garnison dorthin zu legen war eine unglückliche Idee; die einjährigen Freiwilligen können ja in Halle oder sonstwo ihr Jahr abdienen. Wie gefällt Ihnen mein lieber Freund Penzoldt? Ich halte ihn nicht nur für einen liebenswürdigen sondern auch für einen reichbegabten Menschen. Mit der Bitte mich Ihrer werthen Frau Gemahlin, deren geehrten Frau Mutter und Fräulein Schwestern bestens zu empfehlen, bleibe ich

in aller Dankbarkeit und Hochachtung

Ihr treuer Schüler

William Marshall

Wie befindet sich Miklucho (?)? Bitte empfehlen Sie mich ihm, und fügen Sie gütigst bei, er solle nicht vergeßen, daß er versprochen hat, mir von seinen Publicationen Abdrücke zukommen zu laßen!

Brief Metadaten

ID
26233
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Niederlande
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich der Niederlande
Datierung
27.03.1868
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,6 x 20,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 26233
Zitiervorlage
Marshall, William an Haeckel, Ernst; Leiden; 27.03.1868; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_26233