Eggeling, Heinrich von

Heinrich von Eggeling an Ernst Haeckel, Jena, 3. April 1892

Jena 3 April 1892

Hochverehrter Herr Professor!

Auch ich komme erst im Begriff der Abreise dazu, Ihnen für Ihren freundlichen Abschiedsgruß vom 30. vorigen Monats herzlich zu danken. Ich muß in Familienangelegenheiten auf einige Tage nach Braunschweig gehen und hatte in diesen letzten Tagen so vielerlei zu thun, daß ich nicht zum Schreiben kommen konnte.

Aus Ihren freundlichen Zeilen habe ich zu meinem lebhaften Bedauern ersehen, daß Sie selbst leidend waren und daß Ihre hochverehrte Frau Gemahlin sich noch immer nicht von den Folgen der bösen Influenza erholt hat. In dem großen Jena erfährt man ja so gar nichts von seinen lieben Mitmenschen oder nur das, was man am liebsten nicht erführe. Klatsch zu hinterbringen und zu verbreiten ist die Welt nur zu geschäftig, aber || das, was ein warm theilnehmendes Gemüth interessieren würde, wird einem nicht mitgetheilt. Nun, so recht von Herzen wünschte ich, daß Sie und Ihre hochverehrte Frau Gemahlin in dem milden Klima der Riviera volle Gesundheit wiederfinden und daß Sie Beide recht erfrischt und gestärkt und ganz gesund heimkehren mögen!

Für die Mittheilung Ihres politischen Aufsatzes sage ich Ihnen auch besten Dank. Sie vermuthen richtig, daß ich nicht mit in jeder Hinsicht mit demselben übereinstimme, doch weiß ich eine ehrliche Ueberzeugung immer zu schätzen. Die Weltanschauung des Einzelnen hängt von seinem Bildungsgange und seinen Erfahrungen ab, nur zum Theil also von Momenten, welche er in der Hand hatte und beherrschen konnte. Ueber die Frage, in welcher Weise man auf die Entwickelung der Weltanschauung des Volkes in der Schule einwirken soll, wird das Urtheil weit auseinander || gehen, je nach der Anschauung, in welcher man selbst sich befriedigt fühlt, und je nach der Erfahrung, welche man darüber zu sammeln Gelegenheit hatte, was dem Volke noth thut. Nach meinen Erfahrungen stehe ich dem Grundgedanken, welcher in dem Volksschulgesetzentwurfe zum Ausdruck gekommen ist, näher als Sie, ohne deshalb diesen Entwurf unverändert als Gesetz hervorgehen a sehen zu wünschen. Daß ich mich einer conservativ-clerikalen Majorität nicht anschließen werde, davon sind Sie hoffentlich überzeugt. Wohl aber hoffte ich nach dem anfänglichen Gange der Sache, daß die Mittelparteien durch Konzessionen gewonnen werden könnten. Hierin habe ich mich leider getäuscht und so habe ich den Entwurf ohne Schmerz in der Versenkung verschwinden sehen. Das Caprivi-Zedlitz das Beste gewollt und in ehrlicher Ueberzeugung erstrebt haben, ist mir zweifellos. Weder sie haben daran gedacht, noch wird irgend Jemand daran denken oder wenigstens nicht mit Erfolg unter-||nehmen können, die fest begründete wissenschaftliche Weltanschauung zu zerstören oder durch eine mittelalterlich-scholastische zu ersetzen. Aber alle Bedürfnisse des menschlichen Geistes werden durch diese Weltanschauung nicht befriedigt, am wenigsten da, wo doch nur Stäubchen ihrer Basis verbreitet und gegeben werden können. Mit einer sogenannten geläuterten Sittenlehre, sei sie christlich oder platonisch, ist in der Volksschule absolut nichts anzufangen; wenigstens ich halte dieses für unmöglich, so lange ich nicht durch Erfahrung eines Besseren belehrt werde. – Mündlich mehr davon auf Spaziergängen, die wir hoffentlich bald miteinander unternehmen.

Nach einem so guten Winter sind auch bei uns Leidenstage eingekehrt; meine arme Frau liegt seit 16 Tagen fast ununterbrochen zu Bett, erst in Folge starken Rheumatismus; auch ich mußte aus gleichem Grunde das Haus und stellenweise das Bett hüten; es geht mir aber wieder besser. Nur ungern verlasse ich jetzt meine arme Frau; doch läßt sich die Reise nicht aufschieben. Und hier ist sie unter Lottes Hand in guter Pflege. Heinrich begleitet mich. Ihre freundlichen Wünsche für ihn haben uns und ihn hocherfreut. Dafür noch ganz besonderen Dank! Leben Sie wohl! Von ganzem Herzen grüßen wir Sie Beide. Für immer Ihr treuer

Eggeling.

a gestr.: zu

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
03.04.1892
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2601
ID
2601