Karl Möbius an Ernst Haeckel, Hamburg, 22. August 1867

Hamburg, d. 22. Aug. 1867.

Verehrter Herr Professor!

Halten Sie mich nicht für einen undankbaren Menschen, weil ich Ihnen erst heute auf Ihre gütigen Geschenke: Ihr Bild und die Abdrücke Ihrer genealogischen Tafeln zur Morphologie und der „zoolog. Excursion nach den kanarischen Inseln“ schreibe. Ich wollte dies nur unter Beifügung meines Bildes thun. Und heute ist der erste Tag, wo ich im Besitz eines solchen, das ich Ihnen anbieten kann, bin; denn ungünstiges Wetter, Mangel an passenden Freiständen und zuletzt meine Ferienreise ließen mich erst vor einigen Tagen dazu kommen, vor der Camera obscura zu sitzen.

Sie haben mir mit Ihrer Photographie eine große Freude bereitet; denn schon lange wünschte ich Sie in meinem zoologischen Album zu haben.

Ihre frische Schilderung der zoologischen Reise nach den Canaren, N. Afrika und S. Spanien hat mich sehr erfreut und mit Spannung sehe ich Ihren ausführlicheren || Mittheilungen der wissenschaftlichen Ergebnisse entgegen. Hoffentlich söhnt Sie der Genuß, den Ihnen die Ausarbeitung derselben macht, mit den Unannehmlichkeiten aus, die Ihnen begegnet sind.

Die genealogischen Tafeln sind der auf das kleinste Maß in ein Bild zusammengedrängte reiche Inhalt Ihrer Morphologie, welche in der Geschichte der ideellen Naturauffassung für immer einen wichtigen Platz einnehmen wird.

Mit besonderer Freude begrüßte ich in diesem Werke die Anerkennung Göthes als tiefsinnigen Naturforscher, als welchem ich ihm seit einigen Jahren in allen seinen Schriften nachspüre. Der irrende Farbentheoretiker verdient von Naturforschern immer wieder gelesen zu werden. In ihm ist der entdeckende Genius in der anziehendsten Klarheit entfaltet. Was er über Methode der Naturforschung sagt, hat, trotz seiner eignen Irrungen, Niemand || schöner ausgesprochen, als er.

Warum haben Sie sein vortreffliches Wort: „man solle das Gute mit Neigung, das Bedenklichea mit Schonung darstellen“, nicht mehr zur Richtschnur genommen! Der Aufnahme Ihrer Schrift wäre es zu Gute gekommen. Verzeihen Sie mir diese Bemerkung; ich thue sie, weil ich mit Ihnen ein Freund der ideellen Auffassung der Natur bin und dieser mehr Verbreitung wünsche, als sie jetzt besitzt. Und dessenwegen werden Sie mir auch noch die folgenden Bemerkungen nicht übel nehmen. Ich hätte, zur Förderung dieses Zweckes, Ihrem Buche mehr Kürze der Darstellung, weniger Terminologie und eine scharfe Sonderung der aus Beobachtungen sicher gefolgerten Gesetze von dem Hypothetischen gewünscht.

Ich hoffe, daß Sie meine Offenheit als den Ausdruck der Verehrung, die ich für Sie hege, aufnehmen. Einem Menschen, || der uns gleichgültig ist, kann man leicht ein gleichgültiges Lob sagen.

Mit dankbarer Verehrung für das viele Neue, was ich aus Ihren Schriften gelernt habe,

Ihr

K. Möbius.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Hochzeit!

M.

a korr. aus: Vortreffliche

Brief Metadaten

ID
25698
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Freie und Hansestadt Hamburg
Datierung
22.08.1867
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,2 x 19,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 25698
Zitiervorlage
Möbius, Karl an Haeckel, Ernst; Hamburg; 22.08.1867; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_25698