DR. JULIUS MICHELSOHN
PRIVATKLINIK FÜR CHIRURGISCHE
UND FRAUENLEIDEN.
ORTHOPÄDISCHES UND RÖNTGEN-INSTITUT.
HAMBURG, DEN 21/2 1919
KLOSTERALLEE 4–6 (SCHLUMP-HALLERSTR.)
Mein verehrter teurer Lehrer!
Meine Pakete & Broschüren werden Sie wohl erhalten haben. Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, woran Sie an Lebensmitteln am meisten Mangel leiden & was Sie besonders entbehren, da ich in a der Lage bin, einiges leicht anzuschaffen. Sie erweisen mir durch eine Mitteilung eine aufrichtige Freude. Es ist wirklich wenig, was ich für Sie tun kann in Anbetracht dessen, was ich Ihnen schulde. In der letzten Zeit las ich die Geschichte der Entwickelungslehre von Schmidt, ein schönes Buch, aber doch nur als einen Anfang zu betrachten für das weite, große Gebiet! Ebenso las ich „Was wir Ernst Haeckel verdanken“, ich hatte bei der Lectüre genußreiche Stunden & freute mich, erst jetzt das Buch kennengelernt zu haben, da ich vielleicht in meinem Urteil früher befangen werden konnte. Ich bin immer bestrebt selbstständig zu denken und zu urteilen, was ich Ihnen gegenüber getan habe – meine Meinung ist eine aufrichtige! ||
Schon vor 12 Jahren schenkte mir mein Freunde Carl Otto Radde, der Erfinder der Farbenscala, 2 Bände über Deubler van Dodel-Port. Leider ließ ich das Buch liegen, ein gewisses Vorurtheil gegen den Bauernphilosoph spielte eine Rolle. – Erst in dieser Woche las ich die Bücher, die mir sehr, sehr viel Freude bereitet haben. Deubler war doch ein Prachtmensch, sein Lebensgang & seine inneren Kämpfe & Entwicklungen sind äußerst lehrreich, interessant. Nochmals Deubler ein Prachtkerl!
An Ihrem Geburtstage dachte ich oft an Sie mit den schönsten & besten Wünsche! Ich wünsche nur, Sie recht bald wieder sehen zu dürfen.
Mit den herzlichsten & innigsten Grüßen bin ich Ihr Sie aufrichtig liebender Schüler
Julius Michelsohn
a gestr.: L