Metze, Erich A.

Erich Metze an Ernst Haeckel, Steglitz, 11. Juni 1911

I.

Vertraulich!

Hochzuverehrender Herr Geheimrat!

Für das liebenswürdige Schreiben vom 9. des Monats sage ich meinen verbindlichsten Dank. Es lag mir natürlich ganz fern schon jetzt (unter den obwaltenden Umständen) von Ew. Exzellenz die Abfassung des gedachten Aufsatzes zu erwarten. Da eine Genesung doch wohl mit Sicherheit zu erwarten ist, so braucht die Sache ja nur aufgeschoben zu werden. Ob Prof. Ostwald – Groß-Bothen der geeignete Mann ist, der energisch für die Rechte der „kleinen“ Universitäten eintritt, wage ich nicht zu entscheiden. Vielleicht senden ihm Ew. Exzellenz mein Schreiben zu (mit ein paar Begleitzeilen), und er kann es dann nach Gutdünken verwerten und mit meinen Gedanken schalten und walten, als ob sie sein || Eigentum wären. Ich bin schon überreichlich belehnt, wenn man die Erzeugnisse meines Phronema einer ernsthaften Diskussion für würdig erklärt.

Da ich gerade dabei bin an Ew. Exzellenz zu schreiben, so möchte ich mich noch über eine Sache auslassen, die Ihnen wie auch mir am Herzen liegt. Ich meine den gegenwärtigen Stand bzw. Mißstand des Deutschen Monisten Bundes, Ihrer leider so verunglückten Gründung. Als im Herbst vorigen Jahres Dr. Koerber meinen Brief an Dr. Breitenbach in Sachen Keplerbund – Dr. Vielhaber zu lesen bekam, da wird er zweifellos meine dortigen Mitteilungen als unwahr und übertrieben hingestellt haben. Ich halte es nun demgegenüber (schon im Interes-||se meines Rufes) für meine Pflicht, alle meine Mitteilungen an Dr. Breitenbach als zu Recht bestehend aufrecht zu erhalten. Wenn ich seiner Zeit u. a. sagte, der Monisten Bund ist zum Tummelplatz der Eitelkeit und Selbstsucht gewisser unklarer Köpfe geworden so nehme ich jetzt auch nichts davon zurück. Nicht um zu „intrignieren“ [!] schrieb ich an Dr. Breitenbach (was für ein Privatinteresse habe ich denn daran?) sondern weil mir die monistisch-freiheitliche Bewegung viel zu wertvoll ist, als daß ich sie von Leuten à la Vielsager und Co. verhunzt sehen möchte. Ich verkehre viel in Kreisen von Freidenkern und Freunden der naturwissenschaftlichen Weltanschauung, überall aber stieß ich auf ein ironisches Lächeln über den Deutschen Monisten Bund, Dr. Vielsager und Ernst Horneffer, während || man sich über Prof. Plate sehr günstig aussprach. Es liegt also nicht an a der Weltanschauung sondern an den Leuten, die sie lehren. Mit diesen Leuten (ich nehme den Dr. Vielhaber als Typus) wird der Deutsche Monisten Bund niemals auf einen auch nur leidlich grünen Zweig gelangen. Denn einmal fehlt es b ihnen an den notwendigen naturwissenschaftlichen Kenntnissen (ich habe mich oft genug davon überzeugt) und dann ist es mit der praktischen Routine auch nicht weit her. Im Frühjahr 1909 wurde für die Eidespetition gesammelt und es kamen auch ganz nette Gelder zusammen. Nun stellte der damalige Geschäftsführer Herr Alfred Dieterich plötzlich ein Defizit in einer anderen Sache fest. Wie dieses Defizit möglich war weiß ich heute noch || nicht, denn der Bund hatte im Winter zuvor ganz gute Einnahmen gemacht. Genug das Geld, das also für die Eidespropaganda verbraucht werden sollte, mußte nun das Loch stopfen. Obwohl es nun zu einer einigermaßen ausreichenden Propaganda an Mitteln fehlte, wurde die Petition mit ihrer relativ geringen Zahl von Unterschriften dennoch eingereicht um den Schein des Rechtes zu wahrenc und – fiel durch. Ich weiß diese Geschichte aus dem Munde von Dr. Walter Vielhaber, der sie mir in Gegenwart von Dr. Juliusburger im Sommer vorigen Jahres erzählte. So wirtschaftet man mit den Geldern des Bundes! Ich könnte Ew. Exzellenz noch mehr dieser Art mitteilen, will aber mein Schreiben nicht zu sehr anschwellen lassen. – Eine ähnliche Sache ist es mit der Kirchenaustrittsbewe-||gung. Dr. Koerber u. a. raten jedem zum Austritt. Er wie auch Vielhaber versprachen in einer Mitgliederversammlung im August vorigen Jahres aus der Kirche auszutreten. Bis jetzt ist das, obwohl die genannten Herren unabhängig dastehen, noch nicht geschehen, und ich muß da entweder einen Mangel an Klarheit oder an Mut annehmen. Wahrscheinlich trifft beides zu. Dabei herrscht eine Aufgeblasenheit vor, über die man lachen könnte, wenn sie nicht so traurige Folgen hätte. Jeder hält sich da für so einen kleinen Goethe. Dabei fehlt es, wie schon gesagt, diesen Herren an den notwendigen, unerläßlichen naturwissenschaftlichen Vorkenntnissen. Ein Teil von ihnen sind Aerzte und haben sich dies und das zum Physikum eingepaukt, was gewiß nicht viel ist. Ob || man deshalb auch ein tüchtiger Naturforscher d sein muß, wird nicht überlegt. Ich weiß auch gar nicht, was diese Leute in einem Bunde zu suchen haben, der eine auf naturwissenschaftlicher Grundlage beruhende Weltanschauung lehrt. Das Einzige was z. B. Horneffer mit uns verbindet ist die Abneigung gegen die christliche Kirche und das Eintreten für den Monismus. Daß aber Horneffer’s Monismus und der naturwissenschaftliche Monismus nur Konvergenzerscheinungen sind, die sich innerlich vollkommen fremd gegenüberstehen, scheint manchem Herrn im Deutschen Monisten Bund unbekannt zu sein. Ich sagte eben „unbekannt“, richtiger wäre zu sagen: Man will es nicht zugeben. Denn die Leute sind sich dessen z. T. wohl bewußt und sprechen es auch hinter Ew. Exzellenz Rücken in sehr || wenig schöner Weise aus, wie ich jederzeit beschwören könnte. Denn darüber muß ich Ew. Exzellenz klaren Wein einschenken: In’s Gesicht ist man Ihnen von der gleißnerischsten Liebenswürdigkeit, hinter dem Rücken tadelt man Sie nicht nur, nein, man spöttelt, spricht abfällige (d. h. gehäßige) Urteile aus und bildet sich noch etwas darauf ein. Ich nehme es keinem Menschen übel, wenn er diese und jene Anschauung die Ew. Exzellenz ausgesprochen haben, tadelt und zurückweist. Ich habe das ja auch schon getan. Was mich so empört und mich veranlaßt Sie darauf aufmerksam zu machen (es ist ja leicht, meinem Brief unlautere egoistische Motive unterzuschieben) ist das Doppelspiel das man mit Ew. Exzellenz treibt. Man wünscht Sie als Ehrenpräsidenten, || denn dann läßt sich die Werbetrommel besser rühren. Im übrigen braucht man den Mohr nicht. Als Ew. Exzellenz im Sommer vorigen Jahres im Jenenser Monisten Bund eine Rede hielten und dabei gegen den Keppler Bund loszogen, da wollte Koerber diese Rede nicht abdrucken, sie sei „zu scharf“, „der alte Haeckel hat sich da in einen richtigen Haß gegen den Keppler Bund hineingefressen“ u. a. m. Schließlich publizierte er sie doch auf mein und anderer Zureden. – Als im Januar 1910 Dr. Juliusburger im „Steglitzer Demokratischen Verein“ einen Vortrag hielt, in dessen Diskussion die Geister (es waren 2 Steglitzer Pastoren da) aufeinanderplatzten und wir uns viele Freunde erwarben, als bald darauf auf Dieterich’s Ansuchen Pastor Felden – Bremen im Steglitzer „Albrechtshof“ einen Vortrag über die Christusmythe hielt, wollte Julius-||burger und ich, in Steglitz eine Ortsgruppe des Monisten Bundes gründen, wozu wir mit Leichtigkeit 25–35 Mitglieder bekommen hätten; Dr. Koerber aber wollte es nur unter der Bedingung erlauben, daß wir uns als „Sektion Steglitz der Ortsgruppe Groß-Berlin des Deutschen Monisten Bundes“ etablieren. Später zog er, anscheinend auf Vielhabers Wunsch auch diese Erlaubnis zurück und die Sache unterblieb, gewiß nicht zum Nutzen der monistischen Bewegung. Das machte der damalige Vorsitzende. Als Drews’ „Berliner Religionsgespräch“ so gewaltiges Aufsehen erregte, wollte Koerber (trotz des Widerspruchs von Juliusburger, Dieterich und mir) die weitere Abhaltung von Vorträgen über das Christusproblem im Deutschen Monisten Bund verbieten! „Die Polizei könnte sich sonst hineinmischen.“!!! So spricht ein Mann, || der selbst einmal den Deutschen Monisten Bund als „Kampforganisation“ bezeichnet hat. – Die Herren vom Monisten Bund gefallen sich gern in Schimpfereien und Denunziationen über Dr. W. Breitenbach. Dr. W. B. sei Egoist, Geschäftsmann und handle nur im persönlichen Interesse. Ob das richtig ist, wissen Ew. Exzellenz ja viel besser als ich. Ist Ihnen aber auch bekannt, daß Dr. Vielhaber von der sehr armen Groß-Berliner Ortsgruppe pro Monat 150 M erhält und daß Dr. Koerber sich für die „Redaktion“ des „Monismus“, jener prachtvollen Zeitschrift pro anno 1000 M zahlen läßt. Und das wagt dann anderen Leuten, wahrscheinlich aus Neid, die Ehre abzuschneiden. Ich habe eine Reihe von Dingen wahllos herausgegriffen um Ew. Exzellenz einen brauchbaren, zuverlässigen Einblick in die Verhältnisse des Monisten Bundes || zu geben. Etwaige Hoffnungen auf Besserung des Zustandes sind vergeblich. Auch Prof. Ostwald wird mit aller „Energie“ nichts erreichen. Der Monisten Bund ist totkrank und seine Krankheit läßt sich ebenso wenig heilen als das Hirn eines Paralytikers. In seiner jetzigen Verfassung kann der Monisten Bund nur schaden, niemals aber einen nachhaltigen Nutzen stiften. Soll die monistische Bewegung aus ihm noch etwas Brauchbares herausziehen können, so kann das meines Erachtens nur dadurch geschehen, daß alle naturwissenschaftlichen Monisten, Ew. Exzellenz an der Spitze dem Monisten Bund endgültig den Rücken kehren und dem Humboldtbunde beitreten. Ich kann Ew. Exzellenz nur bitten, hiermit den Anfang zu machen, an Nachfolge wird es Ihnen nicht fehlen!

Mit vorzüglicher Hochachtung Ew. Exzellenz

ganz ergebener

Erich A. Metze

11./ VI. 1911.

a gestr.: den Leu; b gestr.: Ih; c eingef. mit Einfügungszeichen *: um den … zu wahren; d gestr.: ist.

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.06.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 25292
ID
25292