Gude, Karl

Karl Gude an Ernst Haeckel, Magdeburg, 15. Juni 1862

Mein lieber Freund!

Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief, mit dem Du mir eine unendliche Freude bereitet hast. Das ist einmal wieder ein Brief von einem glücklichen Menschen! Wie selten wird mir jetzt ein solcher Brief zu Theil. Meine alten Freunde haben mehr oder weniger mit des Lebens Misgeschick zu kämpfen und da leidet und kämpft man mit, und es kommt nicht zum vollen, reinen Herzensgenusse. Dein Brief hat mich in eine gehobene Stimmung versetzt, die noch anhält und auch ferner anhalten wird. Es ist ja schon Balsam für so einen alten Schulmeister, wenn ein früherer Schüler sich seiner dankbar erinnert, aber erhöhet wird die Freude noch, wenn der Schüler weit, weit den Meister überragt, und das muß jeder vernünftige Lehrer und jeder vernünftige Vater wünschen, daß, wie Göthe sagt: „Der Sohn dem Vater nicht gleich sei, sondern ein bessrer“ –

Von Deiner Habilitierung in Jena hatte ich schon gehört, aber noch nicht, daß Du ordentlicher Professor geworden seiest. Ich freue mich sehr darauf, den Professor in Jena aufzusuchen, gerade in Jena, diesem klassischen Boden so vieler großer Geister. Dann will ich mich an dem Glücke Deiner Häuslichkeit erwärmen – das wird wohl mein Loos bleiben – will mit Dir Dein Opus durchsehen und mir Alles hübsch erklären lassen, will Deine Sammlungen in Augenschein nehmen und durch Wald und Flur mit Dir streifen. Ach, wenn nur durch das „Ich will“ – kein Strich gemacht wird. Mit meiner Gesundheit steht es seit Jahren nicht zum besten. || Der Verdauungsapparat ist nicht in Ordnung und die Folge davon ist Schwäche und Hinfälligkeit, namentlich aber häufige Schlaflosigkeit. Es kommen Nächte vor, in denen ich nicht eine Sekunde schlafen kann. Da habe ich Shakespeares Worte vom „heiligen Schlaf, der das wüste Garn der Sorge löst“ u.s.w. erst recht würdigen lernen. Die zu Rathe gezogenen Aerzte haben nicht helfen können; am besten schlafe ich noch nach einem Glase Bier. Ich will es einmal mit der Seeluft versuchen und in den Sommerferien am Strande der Ostsee, vielleicht in Misdroy, zubringen. Sollte ich dies noch ausführen, so komme ich auch nach Berlin und werde dann Deine lieben Eltern Ende Juli besuchen, wenn ich nicht gar zu abgespannt bin a. Eigentlich sollte ich sagen, wenn ich nicht gar zu aufgeregt bin, denn b eine übergroße Aufregung ist es, die mich c nicht schlafen läßt. Merkwürdiger Weise fühle ich mich nach einer schlaflosen Nacht am wachsten, so daß dann der Unterricht mich gar nicht angreift. Von Brunnenkuren bin ich kein Freund; im vergangenen Sommer habe ich Eger Franz getrunken, freilich in Hasserode, habe aber keinen Erfolg von der Trinkerei gehabt. Vielleicht stünde es besser mit mir, wenn ich nicht so allein in der Welt stünde und ein Herz hätte, das ich mein nennen könnte. Gar oft ist die Versuchung – ich muß es so nennen – zu einer Verheirathung an mich herangetreten und lange Zeit habe ich dann in dem Schwanken hin und her mir die Ruhe der Seele nehmen lassen. Immer hat, so willig auch der Geist war, der Verstand die Oberhand behalten, indem ich mir sagen mußte, daß || bei meinem körperlichen Zustande Ruhe, Einsamkeit und völlige Disposition über meine Zeit mich allein noch aufrecht erhalten kann. So werde ich wohl, wenn sich mein Leiden nicht ändern sollte, auf das große Glück des ehelichen Lebens, das so nothwendig zur harmonischen Entwicklung des Menschen ist, verzichten müssen und werde somit nie zur wahren Ruhe und zur wahren Freude des Daseins kommen. Es muß ertragen werden, so schwer es auch ist; aber das Leben verliert allen Reiz. Es giebt Stunden, in denen ich am liebsten abscheiden möchte. Was mich noch am meisten aufrecht erhält, ist, daß ich dann und wann zur Feder greife. Und so habe ich Dir denn mein letztes Opus beigelegt, nimm es in Liebe auf und laß es eine freundliche Erinnerung sein an frühere Zeiten. Du findest ja darin auch von unserm lieben, leider so früh dahingegangenen Hiecke eine Arbeit, ebenso von dem noch immer rüstigen d wackern Wieck. Vielleicht hast Du in den Winterabenden einmal ein Stündchen Muße und liest dann mit Deiner Frau in dem Buche. Wie gern käme ich zu Deiner Hochzeit, aber das wird wohl nicht gehen. Unsere Ferien beginnen den 9ten Juli und währen 3 Wochen, so daß ich bald nach dem Schulanfange schon wieder Urlaub nehmen müßte. Das sollte mich indeß nicht abhalten, wenn ich mich wieder frischer fühlte. Scheuest Du den Umweg über Magdeburg nicht, so würdest Du mir eine große Freude bereiten. Ich habe jeden Nachmittag – außer Freitag – frei. Wieck und Hiecke sind im vergangenen Sommer auch bei mir gewesen. Meine Wohnung ist Gr. Schulstrasse Nro. 10. e Für Deine Mitteilungen über den Aufenthalt Deiner Freunde danke ich Dir herzlich. An Gandtner werde ich nächstens schreiben und ihn von Dir || grüßen. Er hat Hieckes älteste Tochter, Louise, zu sich genommen. Felix ist in Berlin bei Kießling, Anna bei der Freyer in Greifswald. Die Greifswalder Bürger haben sich gegen die Hinterbliebenen gut genommen; ich habe gehört, daß sie 800 Thlr für dieselben zusammengebracht haben. So bauet des Vaters Segen den Kindern Häuser. –

Grüsse doch Deine liebe Braut und Deine lieben Eltern herzlich von mir. Mein Papa ist jetzt auch 82 Jahr alt und noch recht rüstig. In alter Liebe

Dein

Gude.

Magdeburg d. 25ten Juni 1862.

a gestr.: besuchen; b gestr.: ich; c gestr.: auch; d gestr.: W; e gestr.: Über

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.06.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 251
ID
251