Karl Gude an Ernst Haeckel, Magdeburg, 16. August 1860

Mein lieber bester Freund!

Endlich komme ich dazu, Dir meinen herzlichen Dank zu sagen, für den Brief, wie für den Vortrag, den Du in der geographischen Gesellschaft gehalten hast. Es hat mir ungemein wohlgethan, wieder einmal zu erfahren, daß ich Deinem Herzen immer noch in alter Liebe nahe stehe. Du glaubst nicht, wie solche Erfahrungen, wenn man älter wird, erquicken, wie sie mit Vielem aussöhnen, was das Leben Herbes und Trübes bietet. Dabei hat mich die Lectüre Deines Briefes ordentlich verjüngt. Dieses gesunde, frische Leben, welches aus jeder Zeile spricht, wirkt erfrischend und belebend auch auf den Lehrer. Es rief ordentlich die alte Wanderlust wieder wach. „Da hätte ich bei sein mögen“ – so sprach ich gar oft im Stillen zu mir selbst. Außer Goethes Reise nach Italien hat mich kein Reisebericht so angezogen, als der Deinige. Merkwürdig, daß Du gleich Goethe mit dem Gedanken umgegangen bist, ganz der Malerei zu leben. Ich kann mir denken, welche || Lust man verspürt, all‘ die Schönheiten nicht nur zu fixiren, sondern auch in dieselben sein ganzes Fühlen und Empfinden auszugießen. Indeß hat mich Dein Vortrag überzeugt, daß Du der Naturforschung treu bleiben wirst.

Was für ein herrliches Kapital hast Du durch Deine Reise für das ganze Leben angelegt. Es wird Dir bis in das späteste Alter reiche Zinsen tragen. Dein guter Genius d.h. Deine durch und durch gesunde Natur, die stets das Rechte trifft, hat Dich auch zur rechten Zeit auf die Eisenbahn nach Italien geführt. Man muß in dem Alter stehen, in welchem Du die Reise gemacht hast, wenn sie den ganzen Menschen fassen soll; man muß noch vor keiner Strapaze zurückschrecken, keine Erkältung fürchten, keine Nachtwanderung, und ginge es zum Vesuv hinauf, scheuen. Ich habe mich gefreut, daß Du auch dem Aetna einen Besuch abgestattet, a und es nicht gemacht hast, wie Goethe, der nicht ganz heraufgekommen ist, und etwas philiströs sagt: man thut wohl, sich’s erzählen zu lassen. ||

Komme ich nach Berlin, so wollen wir in Deinem Museum die ganze Reise noch einmal machen. Ich freue mich schon jetzt darauf, werde aber wohl noch bis Ostern warten müssen. Dein Zircularbrief traf mich, als ich eben im Begriff war, nach Hasserode zu reisen. Ich habe ihn da, wohin Du Deinen ersten Ausflug gemacht hast, in aller Muße gelesen und mich dabei in alte, vergessene Zeiten zurückgeträumt. Ach, mein Lieber, es ist Vieles anders geworden. Wie rosig lag b damals das Leben vor mir, als Du noch als Knabe auf unserer Wiese hinter dem Garten herumsprangst. Wie Viele sind seit der Zeit schlafen gegangen und haben ein Stück Leben mit hinweggenommen. Im Februar dieses Jahres starb auch meine innig geliebte Schwester, die einzige Stütze meines alten, achtzigjährigen Vaters und auch meine einzige Hoffnung. Vielleicht erinnerst Du Dich ihrer. Mild uns sanft wie ihr Leben, ist auch ihr Tod gewesen. Aber wir haben eine zweite Mutter mit ihr verloren.

Lange habe ich nichts von Deinen lieben Eltern gehört. Hoffentlich befinden sich beide wohl und || haben beide noch die alte Rüstigkeit. Ich sehne mich ordentlich danach, sie einmal wieder zu sehen. Grüße sie doch ja recht herzlich von mir.

Im Juni war Freund Hiecke auf einen Tag bei mir. Er wollte nach Paderborn, um dort zu baden und zu trinken. Seine Respirations-Organe waren angegriffen, sodaß sich namentlich beim Sprechen Husten einstellte. Wie ihm die Kur bekommen ist, habe ich noch nicht erfahren. Hoffentlich ist er bereits gekräftigt nach Greifswald wieder zurückgekehrt. Es wäre sehr zu wünschen, wenn er aus dem Schulstaube endlich einmal herauskäme. Leider befürchte ich, wir sind jetzt soweit noch nicht, Hiecke die Stelle eines Schulraths anzutragen.

Du hast sicherlich noch Manches zu Papier zu bringen und bist gewiß fleißig darüber her. In unsern naturgeschichtlichen Lehrbüchern steht wahrscheinlich Manches, was mit einem Fragezeichen versehen werden müßte; da giebt es also noch Arbeit. Du wirst die Fragezeichen nicht stehen lassen. Mündlich mehr darüber. Entschuldige nur die Kleinheit des Briefbogens. Ich hatte keinen andern u. konnte keinen bekommen, da Kirche ist. Und doch wollte ich heute schreiben, sonst vergingen wieder acht Tage. Aber nun zum Schluß, vergiß mir nicht, Deine liebe Braut, wenn auch unbekannter Weise von mir zu grüßen und behalte ferner lieb in alter Liebe

Deinen Gude.

Magdeburg d. 26 Aug. 1860

a gestr.: hast; b gestr.: nach

Brief Metadaten

ID
250
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Provinz Sachsen
Datierung
26.08.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
18,2 x 14,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 250
Zitiervorlage
Gude, Karl an Haeckel, Ernst; Magdeburg; 26.08.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_250