Ernst Eckardt an Ernst Haeckel, Jena, 13./14. Juli 1913

Jena, d. 13./14.VII.13.

Exellenz,

Hochverehrter Herr Professor,

wie gütig und vielseitig Sie auch heute Nachmittag mit mir gesprochen haben, so bin ich doch recht klein und unglücklich von Ihnen weggegangen. –

Zwei demütigende Gefühle überschwemmten mich ganz, die in engem Kausalnexus miteinander stehen.

Ich kam zu Ihnen, Exellenz, wie junge, in sich hoffnungsvolle Künstler zum Herrn Geheimrat Goethe gekommen sein mögen. Und, wie es dann meist oder gern eintritt: Neben der Größe und stillen, scharfen Abgeklärtheit des Mei-||sters wird ihnen ihre eigene Unwichtigkeit und das verschwindend Positive, was sie zu bieten haben, so recht eindringlich klar und das Gefühl ist eben tief deprimierend. Ähnliches hat wohl auch noch der junge Goethe vor großen Werken, der reife Künstler in ihm sogar noch in Italien erfahren müssen. In einer Stunde erhöhten Lebensgefühls, wo einem wie Blitze die Erkenntnis von weittragenden Problemen aufzuckt, bekommt man dann freilich wieder das Zutrauen zur eigenen Kraft, das die Grundbedingung für jeden großen Wurf ist. Und es ist mit dem Ansatz zu Leistungen wie mit a einem frisch entzündeten Feuer, wo anfangs nur Funken sprühen, Rauch das ganze verhüllt, bis sich eine starke, gleichmäßige Flamme entwickelt. Erst das Chaos und daraus die gestaltete Welt! – Ich bin nun ein schlechter Redner, || wenn ich Dinge vorbringen will, die mir am Herzen liegen. Wie eine Schnecke, der man die Fühler berührt hat.

Als ich von Ihnen ging, Exellenz, hatte ich darum das unbehagliche Gefühl, daß ich Ihnen längst nicht den Eindruck gemacht hatte, den Sie vielleicht von mir erwartet hatten. Und daran hing soviel! Eine ganze Kette guter Hoffnungen.

Es ist gewiß unzart und wenig stolz, die Geschichte noch einmal zu berühren. Aber b Sie verstehen es am Ende, Exellenz, daß man sich gewisse Dinge gern vom Herzen herunterschreibt, um durch die objektive Projizierung nach außen leichter zu werden.

So hatte ich in stiller Naivität geglaubt, Ihnen, Exellenz, ständen die Mittel zu solchen Zwecken, wie den, den ich in meinem Briefe angedeutet hatte, zur Verfügung und es würde in Ihrer Güte stehen, mir die Möglichkeit || zu schaffen, in diesen Ferien auf eine kl. Station wo die Arbeitsplätze etc. vollkommen frei sind, ans Mittelmeer zu gehen. Mit 300–350 M. würde das möglich sein.c

Es ist ja am Ende, offen gesprochen, nicht blos das wissenschaftliche Interesse, daß ich dort sowohl die Meerformen undd die Noctuidenfauna kennen lernen und mit den nördlichen Formen vergleichen wollte, daß ich genauere Obacht auf die Verteilungsziffer der Arten im Wasser wenden, daß ich anatomisches Material für die Phylogenie der Ophistobranchias und ebenso eine spezielle Sammlung der kleinen Chephalopodenarten [!] im Mittelmeer zusammenbringen wollte. Arbeit hätte ich mir schon gemacht! – Nein, aber es ist resp. war vor allem die heiße Sehnsucht und Liebe, die ich zum Süden hege, zu leuchtenden, frischene Farben und bunter Vielgestaltigkeit.

3 Jahre habe ich stille sitzen müssen, um das, was ich in meinen ersten Semestern || auf wechselnden Wanderfahrten in mehrfachem Sinne versäumte, in geordnete Bahnen zu lenken und nachzuholen. –

Nunf drängte es wieder hinaus in die verheißende Ferne! – Ich wollte mit einem billigen Frachtdampfer nach Malaga fahren, vong dort 10 Tage einem Teile der Sierra Nevada widmen und von da nach Cette od. Palma gehen, um mich dort auf cir. 6 Wochen festzusetzen. Es war alles so wunderschön in der Idee! Aber die Wirklichkeit!

Vielleicht ist es ja selbsterzieherisch gut, wenn ich jetzt durch die Sachlage gezwungen werde, friedlich in Jena zu bleiben und mich mit den Büchern und meinen Lepidoptoren und Mäusezuchten zufrieden zu geben! Ähnlich wie Carl Gegenbaur, von dem Sie ja heute erzählten, Exellenz, daß er aus Selbsterziehung und Absicht heraus sich zur Dozententätigkeit zwang, trotzdem er viel lieber etwas anderes gemacht hätte.! ||

4. P. S. d. 14.VII.13.

Was nun eigene, große Arbeiten, zu denen mir die Theorie vorschwebt, anlangt, so müssen Sie freundlich verstehen, Exellenz, daß daran liegt, Großes, Gutes, fundamental Neues, neue, weitreichende Gesichtspunkte zu finden. Ganz so wie Sie es auch getan haben als unser bester Altmeister und Nachfolger von Darwin.

Denn darin wollen wir Forscher und künftigen Forscher uns ja von den anderen Menschen unterscheiden, daß wir den Beziehungen der Dinge viel tiefer nachgehen und sie umfassend erkennen, sodaß nachher für die andern das Erkennen Kinderspiel wird, wenn erst das Columbusei gelegt war. Ich weiß, daß aus dem Problem, das mir vorschwebt, die weittragendsten Schlüsse gezogen werden dürfen, wenn die strenge, wissenschaftliche Zusicherung sich als richtig und h konstruierbar erweist. Das werde ich in cir. 5–10 Jahren erfahren. Manchem Erfinder und Entdecker ging es freilich anders, wenn er sich an eine Lüge hängte.

Daneben aber werde ich den Gedanken, durch eine große Zusammenfassung das biogenetische Grundgesetz zu verankern, nicht aus den Augen lassen, Exellenz.||

Aber man ist ja schließlich kein Kind, dasi um eine zerbrochene Hoffnung weint. Ich bin nur resigniert. Denn es ist so wunderbar, wie befruchtet und neu und reich man von einer Reise, die aus alteingefahrenen Verhältnissen herausführte, wiederkehrt! – Man wird auf längere Zeit wieder so begabt mit j sprudelnder Kraft durch die tausend neuen Beziehungen, daß alles besser geht.

Andererseitsk hat man zu Hause doch nicht die feste Ruhe trotz des Willenskommandos. Es geht einem wie den Vögeln im Frühling und Herbst. –

Das alles ist jedoch noch nicht das schlimmste. Am tiefsten kränkt mich die Ahnung, daß Sie, Exellenz, nach meinem Debut von heute sich am Ende gesagt haben: Es lohnt nicht die Mühe! Er ragt nicht über den Durchschnitt! – Ich kann Ihnen || das Gegenteil augenblicklich nicht beweisen. Wir wissen über uns selbst am ungenauesten Bescheid, sagt Goethe. Wie ich bereits aussprach: Im Hochgefühl mancher Stunde stehen wir über Tausenden.

In den Zeiten der Verzagtheit am eigenen Können und Werden übersehen und vergessen wir neben dem Fehlerhaften auch das Gute, Tüchtigel, das in uns liegt.

Verzeihen Sie mir, Exellenz, daß ich Ihnen so mein Herz ausschüttete. Ich hätte sonst nicht rechte Ruhe gefunden.

Denn das was uns am wünschenswertesten ist, das ist stets in allem die scharfe Klarheit der Situation! An einem bloßen Mißverständnis oder Übersehen wollte ich meinen Wunsch nicht scheitern sehen.

Ich bleibe in allzeit getreuer Verehrung

Euer Exellenz

ergebenster

Ernst Eckardt

a gestr.: mit; b gestr.: vi; c eingef: Mit …gewesen.; d gestr.: von speziell; eingef.: und; e gestr.: schroffen; eingef.: frischen; f korr. aus: Num; g eingef: von; h gestr.: tragf; i irrtüml.: daß; j gestr.: tausend; k eingef.: seits; l eingef.: Tüchtige

Brief Metadaten

ID
2498
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
13.07.1913
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
14,0 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2498
Zitiervorlage
Eckardt, Ernst an Haeckel, Ernst; Jena; 13.07.1913; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_2498