Wilhelm Ostwald an Ernst Haeckel, Grossbothen, 14. Mai 1915

WILHELM OSTWALD

GROSS-BOTHEN, KGR. SACHSEN

LANDHAUS ENERGIE

14. Mai 1915

Verehrter und lieber Freund:

Da ich seinerzeit auf Ihren Ruf an die Spitze des Deutschen Monistenbundes getreten bin, halte ich es für meine Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass ich heute endgültig dem Vorstande mein Amt zurückgegeben habe.

Die Gründe sind mehrfach. Zunächst meine schwindende Arbeitsfähigkeit und schwankende Gesundheit. Ich war Anfang April so mit Rheumatismus und Rückenschmerzen geplagt, dass ich mich scheute, mehr als einmal täglich die sehr bequeme Treppe von meinem Schlafzimmer nach dem Arbeitszimmer zu steigen. Ich ging dann nach Karlsbad (von wo ich Ihnen schrieb), wo diese Übel verschwanden; dagegen suchten mich schlimme Gallenkoliken heim, die mich zu Zeiten fast besinnungslos vor Schmerz machten.

Jetzt habe ich durch grosse Vorsicht etwa eine Woche nicht ganz unge-||störter Ruhe gehabt. Der plötzliche Tod K. Lamprechts, mit dem ich befreundet war, an Erschöpfung (Anämie) mahnt mich weiter, hauszuhalten, da ich noch einige Bücher schreiben möchte, die kein anderer schreiben kann.

Das sind die subjektiven Gründe. Dazu kommen objektive.

Aus Bundeskreisen wird mir zunehmend klar gemacht, dass man mit meiner Stellung zu den grossen Fragen des Tags nicht zufrieden ist. Zumal die internationale Judenschaft, die auch bei uns reichlich vertreten ist, findet meinen Patriotismus übertrieben und rückständig.

Dazu kommt ein wachsender passiver Widerstand der Geschäftsstelle in München, wo man die Zeitschrift auf ein Heft monatlich bei vermindertem Umfange des Heftes reduzieren möchte und sich ausser Stande erklärt, die Mittel für das Erscheinen in der bisherigen Form aufzubringen, obwohl ich schon vor Monaten erklärt habe, dass ich davon mein Verbleiben im Amt abhängig machen muss, da zurzeit die Zeitschrift das einzige Band ist, welches die Mitglieder zu einer aktiven Einheit || einigt. Ich mag mir nicht die Mühe geben, die persönlichen Unterströmungen aufzudecken, welche hierbei wirksam sind. Denn ich bin ohnehin seit Jahr und Tag der Meinung, dass der Bundespräsident nicht länger als 3 Jahre im Amte sein sollte, und dass auch alle anderen Ämter regelmäßig neu besetzt werden müssen, indem die alten Inhaber nach einem regelmässigen Turnus ausscheiden.

Einige Freunde haben mir gesagt, dass gerade jetzt mein Ausscheiden dem Bunde sehr schaden würde. Ich glaube, eine so grosse und für die Jahrhunderte bestimmte Sache wie der Monismus kann durch solche persönliche Wellenbewegung nur ganz vorübergehend beeinflusst und gestört werden. Nach dem Kriege werden wir (und auch ich) unsere Kräfte offenbar sehr nötig haben und mich jetzt wegen der ziemlich kleinen Dinge zu opfern, die meine Arbeit am Bunde zurzeit erschweren oder behindern, wäre eine Verletzung des energetischen Imperativs.

Ich weiss gar nicht, wie Sie sich befinden und insbesondere wie Sie den häuslichen Kummer überwunden haben, der Sie betroffen hat und bezüglich dessen ich aus Karlsbad meine herzlichste Teilnahme ausgesprochen hatte. Ich bin in grosser Sorge um Sie und wäre für ein kurzes Wort sehr dankbar. Die schwere Zeit lastet auf uns allen, und überall kommt zu dem allgemeinen Druck noch persönliches Ungemach. Meine Hoffnungen wagen sich kaum soweit, dass wir noch in diesem Jahr Frieden haben möchten.

Ihr ganz ergebener

W Ostwald

Brief Metadaten

ID
23741
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
14.05.1915
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
16,0 x 22,5 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 23741
Zitiervorlage
Ostwald, Wilhelm an Haeckel, Ernst; Grossbothen; 14.05.1915; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_23741