Finsterbusch, Ludwig

Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Mülheim an der Ruhr, 15. Februar 1907

Mülheim Ruhr, den 15. Febr. 07.

Mein lieber Freund!

Morgen beginnst Du wieder ein neues Lebensjahr. Möge es Dir Gesundheit u. Freude im Familienkreise u. Erfolge im Berufe bringen. – Ich danke Dir für Dein Heft, das Du mir im Januar schicktest. Deine Hoffnung, die Du auf den 13. Dezember setztest, hat sich noch nicht erfüllt, aber besser wird es doch, wenn nur Bülow u. S.M. nicht nach wie vor sich vor dem Centrum bücken. – Nun, wir wollen das Beste hoffen. Wir hier in Duisburg-Mülheim haben unser National Liberales Mandat verloren an den Soci Hengsbach, natürlich durch die Schuld des Centrum! Eine Schmach! – Aber das Centrum darf auch sagen: Noch ein solcher Sieg u.s.w. (oh Pyrrhus). –

Ich lege Dir einen Aufsatz bei, der Dir beweisen soll, daß ich Deinen Riesen-Arbeiten in meinem engen Verhältniße || mit Verständnis zu folgen mich bemühe. Ich versuche in populärer Sprache solchen Leuten die Sache annehmbar, also überzeugend zu machen, welche mit Bangen u. Angst das Eindringen der monistischen Anschauung ins niedere Volk zusehen u. deshalb bei den Predigten der evangelischen Kirche den Kopf wie Vogel Strauß in den Sand stecken u. nicht beherzigen, daß das heißt den Gegner indirect unterstützen. Du führst Kolbenschläge in großem Stile gegen den Dualismus – u. hast das Recht dazu, wahrlich wie ein Grobschmied zu handeln. Es ist aber auch dabei nicht zu vergessen, nach dem Sturme – der oft wiederholt werden muß, auch ein mildes Säuseln wehen zu lassen – oder Sonnenschein, welcher den Mantel noch besser beseitigt, als der Orkan. –

Mir steht dabei vor Augen, was Du in den Welträtseln Volksausgabe p. 166 sagst: Das || „ethische Wort des echten Christentums hat sich (trotz etc.) so vielseitig fruchtbar bewährt u. ist mit den verschiedenen Einrichtungen des höheren Kulturlebens verwachsen, als es in der Hauptsache deren Grundlage etc.“ – Ich suche nun die Seiten der inneren Verwandtschaft, also die historische Anknüpfung des Neuen ans Alte in helles Licht zu stellen, ohne dem Dualismus u. der Metaphysik näher zu rücken. – Vielleicht hast Du Zeit, den Aufsatz einmal gelegentlich durchzulesen. Sollte er irgend wie zu verwenden sein, so sollte es mich freuen, oder sollte er Dich veranlassen mir einen Rat über derartige kleine Arbeiten zu geben, z.B. wird gräulicher Unsinn u. Unfug mit dem Worte „Natur“ u. „natürlich“ getrieben, daß da aufgeräumt werden muß u. es gibt noch andere Winkel, in denen ich ohne verletzende Kritik im Sinn des Monismus ausfegen u. leuchten möchte, u. | wie ich mir vielleicht einbilde, auch könnte. So meine letzten Tage noch verwerten zu dürfen, wäre herrlich. – Aber genug. Ist nichts davon zu gebrauchen, so schicke mir das Geschreibsel gelegentlich zurück – dann kann ich es in engerm Kreise einmal als Vortrag, der eine tüchtige Debatte hervor zu rufen geeignet wäre, benutzen. –

Und nun vale, mi care amice; was würde sich der alte Wieck über seinen Schüler E. Haeckel (ich meine Gymnasialschüler) freuen! –

Meine Frau war letzten Sommer in Nauheim, wegen des Herzens; ich mit ihr, ohne Herzbeschwerden. – Helene schwärmt für Dich, Dein Bild hängt in ihrem Zimmer eingerahmt. – Halte Dich wacker, ja keinen Ärger über Petersburger Physik! – Apropos wegen 2. Wärme-gesetzes möchte ich von Dir etwas hören, wie Dich da verteidigen, Du Simson, der die Säule umwirft.

In treuer Liebe Dein Ludwig. –

 

Briefdaten

Empfänger
Datierung
15.02.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 2364
ID
2364