Finsterbusch, Ludwig

Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Minden, 14. März 1863

Minden am 14. März 1863.

Lieber Ernst!

Wenn mein langes Schweigen Dir vernehmlich gepredigt hat, daß unsere Flitterwochen gar kein Ende nehmen wollen – wie sich kürzlich einer meiner Freunde scherzhaft ausdrückte – so ist der Zweck desselben vollständig erreicht.

Wollte ich länger schweigen, so hieße das möglicherweise Bismarkische Politik treiben. Zwar könnte ich die Verstimmtheit eines Jenenser Professors noch ruhig mit ansehen, insofern ich unter dem Schutze der Mindener Kanonen stehe. Auch kann ich auf die preußischen moralischen Eroberungen pochen und micha aufs hohe Roß der Großstaatspolitik schwingen und an den Froschteichen Mitteldeutschland vorüberreiten unbekümmert darum, ob das Gequake sich am Schweife meines Roßes gleich einem dichten Walde im ungezogenen Echo b bräche – aber trotz alledem und alledem, ists besser, ich lasse das burschikose Betragen fallen und gerire mich als Polenfreund.

Denn – und das ist der erste Gesichtspunkt dieses Briefes – die alte polnische Verfassung, so verschrien sie auch allmälig geworden ist, war doch eine sehr gute und nichts wundert mich mehr, als so gar einsam mit dieser Behauptung zu stehen. Seitdem ich mich || verheirathet habe, sehe ich ein, daß jede Ehe eine polnische Verfassung ist. Denn die gesprächige, wenig beschließende, verbessernde, debattirende Frau bildet den Reichstag. Aus ihrer Wahl hervor geht der König ihres Herzens. Allerdings mag ich das Gleichniß nicht weiter fortsetzen, denn schließlich hinken alle Gleichnisse. Ich denke aber, meine Behauptung ist völlig erwiesen, wenigstens habe ich mehr Beweise beigebracht, als die meisten officiellen Actenstücke der Jetztzeit. Und dieses führt mich auf einen zweiten – nicht minder wichtigen – Gesichtspunkt. Es ist nämlich gegenwärtig ein solches ein solcher Seeschlangenstyl in sämmtliche Kundgebungen gekommen, das Keiner mehr dem andern traut. Früher sagte man: Ein Mann – Ein Wort; jetzt kann man sagen: Tausend Worte, hundert Versicherungen und ein Duzend Conventionen und noch nicht ein einziger Mann, sondern nur ein Cavalier. Da nun das Wort so wenig gilt, so wäre es vergebliche Mühe, versichern zu wollen, ich hätte stündlich Deiner und Deiner lieben Frau gedacht und ich zerfleischte mein Gewissen mit Vorwürfen über mein langes Schweigen.

Ich gehe daher lieber zu dem dritten Gesichtspunkte über, indem mich der ebengebrauchtec Ausdruck „Schweigen“ und die weiter oben erwähnte Convention an einen Leitartikel der Kölnischen Zeitung erinnert über die todtgeborne Convention. Das Passendste des ganzen Artikels lag für mich in dem Worte „geborne“ || und ich wurde dadurch so inmitten in meine stille Häuslichkeit geführt und stellte Betrachtungen an, die mich auch auf den Einfall brachten, das Telescop herzunehmen und es nach Jena zu richten ins Professor-Haus, aber ich sah nur leere, nebelhafte Ferne. Ich schüttelte mit dem Kopfe und konnte es mir nicht erklären, ich holte Deine Photographie hervor und besah sie mir – Du warst durchaus der alte – nun, dachte ich, daß geht nicht mit rechten Dingen zu; siehe, da bemerkte ich, daß das gebrauchte optische Instrument nur ein Mikroskop war, und ich beschloß sofort an Dich zu schreiben und mir Erläuterungen auszubitten, wie weit die geheimen Artikel Deiner Ehe-convention reichen und ob –

Und hier will ich die Reihe meiner Gesichtspunkte schließen. Wenn ich nun bedenke, was das Publikum wohl späterhin, wenn meine Briefe einmal gedruckt werden, zu der auffallenden Form dieses Briefes sagen wird, zumal wenn durch besagte Veröffentlichung noch andere Briefe eben dieser Periode meines Daseins die nämliche Form documentiren würden, so will ich den Grund lieber gleich hier kundthun. Ich gebe deutschen Unterricht in Secunda und indem ich dort in jeder Lection mir die erstaunlichste Mühe gebe, die Gedanken aus den Köpfen der Schüler herauszutreiben, gleich Mäusen, denen man Wasser ins Mauseloch gießet, so hat sich dieses auf mein eignes Denk- und Schreibsystem || übertragen. So ist der Mensch Sclave seiner Beschäftigung. Und dieses führt mich auf die Sclaverei im Allgemeinen und dann auf die besondere Sclaverei der Vorurtheile und dabei im Anschluß muß ich Dir gratuliren, daß Du eine liebe Frau gefunden hast, die frei von Vorurtheilen ist, u. z.B. sich nicht vor dem Abgotte der Jetztzeit, der Krinoline beugt. Denn das sagt mir die Photographie.

Für diese Photographie sage ich und meine Frau Dir und Deiner Frau den schönsten Dank und so wäre ich endlich wieder bei dem Gefühle angekommen, welches schon an verschiedenen Stellen des Briefes scheu hervorgeguckt hat und wenn auch leise, doch vernehmlich gesaust und gebrauset hat, gleich einem Theekessel, wenn das Wasser anfängt zu singen. Aber es sang eben bis jetzt nur, jetzt – jetzt – kochet und siedet es und wallend übersprudelt mein Mund vom Lobe des hochzeitlichen Kessels. Betrachte dieses Gleichniß zugleich als Bescheinigung des richtigen Empfanges des Theekessels. Der Dank dafür liegt schon darin ausgesprochen, daß er so in succum et sanguinem bei mir übergegangen ist, daß ich ihn als rhetorische Blume meines Styles verwerthe.

Meine Existenz hat für Dich nichts Interessantes, ich eile also zum Schluße. Gehts Dir und Deiner lieben Frau gut? à propos; wenn Du nach Berlin kommst oder schreibst, so erkundige Dich doch bei Deiner Mama, ob mein Brief im Januar und damit die Bezahlung der zweiten Sendung Porcellan angekommen ist. Grüße Deine Eltern herzlich von uns, von mir auch Deinen Bruder in Landsberg a/W.

Mit den wärmsten Wünschen für das Wohlergehen Deiner engern und weitern Familie

Dein Ludwig Finsterbusch.

Gandtner läßt grüßen.d

a eingef.: mich; b gestr.: sich; c gestr.: brachte; eingef.: brauchte; d weiter am linken Rand, quer zur Schreibrichtung: Gandtner läßt grüßen.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
14.03.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2328
ID
2328