Finsterbusch, Ludwig

Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 8. Juni 1852

Halle, den 8. Juni 1852.

Lieber Ernst!

Ich kann Dir nicht sagen, ich brauche Dir auch nicht zu sagen, wie sehr Du mich dauerst. So gesund fortwährend, siehst Du Dich gerade mit der Zeit der besten Hoffnungen und schönsten Pläne durch Krankheit auf einmal verhindert. Hoffentlich hat sich das Übel nicht verschlimmert? Du willst ein Bad besuchen, wie ich hörte. Lieber Ernst! Bis jetzt hat uns gleichartige Gesinnung trotz verschiedenartiger wissenschaftlicher Neigungen und Bestrebungen innig verbunden, jetzt scheint auch das Schicksal uns durch ähnliche Schläge einander noch näher bringen zu wollen. Ähnliches Geschick Anderer, besonders Befreundeter, läßt das eigene leichter tragen; auch muß man sich, wenn es einmal nicht anders ist, der Nothwendigkeit fügen. Was sollte ich Dich damit trösten, da Du das Dir selbst sagen kannst. Etwas anderes wird Dich die Vernichtung Deiner schönen Träume mit größerer Gelassenheit ertragen lassen. Geliebter Ernst, ich will es Dir gestehen, ich glaubte später als Theologe wirken zu können. Mag es Täuschung und Einbildung sein, genug, ich glaubte das Volk, gerade den Mittelstand, genug zu kennen und mit seinen Verhältnissen bekannt zu sein, wie auch andererseits einigermaßen vielleicht die Fähigkeiten zu besitzen, um einmal von der Kanzel mit einigem Erfolge zu wirken. Aber diese Aussichten u. Lieblingsgedanken sind mir auf einmal vernichtet; Du meinst – durch meinen Fuß? Das allein hätte mich nicht bestimmt, von der Theologie abzugehen, da ich Hoffnung habe, doch einigermaßen || wieder hergestellt zu werden. Ich bin vollkommen mit dem Dogma zerfallen; Zweifel, die ich schon lange gehegt, haben sich in allen ihren Consequenzen geltend gemacht, und mich auf einen Standpunkt geführt, vor welchem mir vor etlichen Jahren noch graute. Unmöglich kann ich in Einklang mit der strengen, wie oft spitzfindigen Kirchenlehre kommen, und den Entschluß, den ich in späteren Semestern bei dem Mangel an Mitteln länger über das Triennium hinaus zu studiren, schwerlich würde haben thun können, diesen Entschluß hat der Zustand meines Fußes beschleunigt, u. somit ersetzt, was mir an Entschlossenheit sicher gefehlt hätte. Somit bin ich freilich vor der Gefahr geschützt, daß ich später bei fortgesetzten theologischen Studien ohne irgend eine andere Aussicht mich einer mir fremden Lehre und Meinung vielleicht accommodirt, u. im Zwiespalt mit mir selbst, höchst unglücklich, und was mehr sagen will, höchst unsittlich und der menschlichen Würde schnurstracks zuwider ein Amt lediglich um des Brodes willen versehen hätte. Aber für die Vernichtung meines Lieblingsgedankens, von der Kanzel auf die Gemeinde zu wirken, kann und wird mich wohl schwerlich die Philologie entschädigen, wie sehr mich auch die Betrachtung des rein menschlichen Alterthums entzückt u. nach der einen Seite befriedigt.

Lieber Ernst! Dir sind Deine Pläne u. Hoffnungen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben, Du fühlst Dich in Deinem Studium glücklich, und nach allen Seiten befriedigt. Ich, wiewohl ich die scholastischen Speculationen, a welche auf theolog. Gebiete nicht zu vermeiden und dem Nicht-Theologen unbekannt sind, mit Freuden gegen die philologischen Studien vertausche, muß dafür gerade meinem schönsten Wunsche für immer entsagen. || Noch Niemand erfuhr von mir diesen geheimen Wechsel, nicht einmal meine Eltern, denn sie würden sich, ohne mir dadurch zu nützen, beunruhigen. Dir habe ich ihn entdeckt, damit Du Dich über Dein Schicksal um so besser trösten mögest, und damit Du überzeugt sein kannst, daß ich Deine Lage vollkommen fühle u. lebendigen Antheil nehme. Möge sich doch Dein Fuß recht bald u. recht gründlich bessern!

Du wünschest etwas über meinen Gesundheitszustand zu erfahren? Ich fühle mich im Sonstigen gerade gesünder und munterer, als früher. Am Fuße werde ich mit nächster Woche eine Maschine fortwährend tragen, wodurch das Knie unterstützt u. die Flechsen gedehnt werden sollen.

Gegenwärtig ist die Anzahl der Merseburger in Halle ziemlich groß. Weber u. Hetzer wohnen in einer Stube zusammen nahe an der Bude, und studiren beide Mathemat. u. Naturwiss. – Wiegner, Gasch u. Künzel bilden ein ziemlich verwachsenes Kleeblatt. Sie wären gern eine in eine Verbindung eingesprungen, auch haben sie einmal mit den Normannen geknippen, aber jedenfalls sind sie nicht gehörig gekeilt worden, denn an der Verbindung hatten sie ihren Äußerungen nach nichts auszusetzen. Sie haben lange nachher noch beabsichtigt, sich mit den Salingern bekannt zu machen, aber bis jetzt ist nichts daraus geworden, u. höchst wahrscheinlich bleiben sie, wenigstens dieses Semester, Kameele. Wir machen öfters Kahnparthien nach der Rabeninsel zusammen. Sander ist bei den Alt-Märkern eingesprungen. Dorendorf hat bei seinem schlottigen Wesen die Mütze nicht erhalten, und daher ausgesprungen. Er ist übrigens, zum Theil mit aus Ärger über diese Geschichte, ziemlich krank u. leidend. Im Ganzen und Großen reiben sich, wie natürlich, die Chorburschen u. Landsmannschafter u. häufige Paukereien kommen vor, wobei sich von landsmannschaftlicher Seite die Salinger hervorthun.

Wie sagen Dir die philosoph. Studien zu? In Berlin wird doch jedenfalls auch die Philosophie durch Hegelianer repräsentirt? Ich höre jetzt über die Hauptpunkte der Metaphysik bei dem alten Gerlach, welcher von etwas modifiziertem Kantianismus ausgeht, und indem er dem realen Element, welches Kant zwar immer festgehalten wissen wollte, aber in seiner Theorie nicht genug berücksichtigt und ausgebildet hat, gleiche Berechtigung mit dem idealen vindicirt, gegen den einseitigen Idealismus Hegels eifrigst polemisirt. Ich danke Dir auch hiermit für den Ritter u. Preller. Hoffentlich wirst Du bald wieder hergestellt, u. überraschest dann Merseburg mit einem Besuche, wobei Du natürlich auch mich heimsuchst. Unsere Ferien beginnen ebenfalls den 15. Aug.

Grüße Deine lieben Eltern bestens, und sei meiner freundschaftlichen Gesinnung noch einmal versichert.

Dein treuer Freund,

Ludwig Finsterbusch. ||

Herrn stud. medic. E. Häckel. | p. adr. Sr. Hochwohlgeboren, | dem Herrn pens. Oberregierungsrath Häckel | zu | Berlin | Schifferstraße No. 6.

frei

a gestr.: und

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
08.06.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 2309
ID
2309