Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Sanshui, 20. September 1913

Samshui, den 20ten September 1913

Hochgeehrter Herr Professor.

Ich statte Ihnen meinen besten Dank ab für Ihr liebenswürdiges gedrucktes Rundschreiben mit den im ganzen erfreulichen Nachrichten über Ihren Gesundheitszustand. Könnte ich Ihnen doch meinen Tragstuhl mit seinen vier flinken chinesischen Kulis nach Jena senden, damit Sie wenigstens in der Sänfte Ihre früheren Ausflüge in die schöne Umgegend der Stadt wieder aufnehmen könnten. Zu Wagen lassen sich jene Exkursionen im Lauen der Saale wohl kaum machen.

Ich verfolge mit großem Interesse den Fortschritt des Monismus in Deutschland, wobei mich besonders das „Monistische Jahrhundert“ || und Geheimrat Ostwald’s treffliche „Sonntagspredigten“ auf dem laufenden erhalten. Auch nehme ich mit Befriedigung wahr, daß Dr Breitenbach’s „Neue Weltanschauung“ den Bruderzwist mit dem Monistenbunde mehr oder weniger aufgegeben hat.

Neulich traf ich in Canton mit einem meiner Kollegen, dem Coast Inspector Tylor, zusammen. Er ist ein philosophisch begabter, wenn auch etwas mystisch veranlagter Mann, welcher sich auch für Ihr Werk sehr interessiert. Er bat mich Ihnen seine Broschüre: „The Psycho-Physical Aspect of Climate with a Theory Concerning Intensities of Sensations“ zu übersenden, was ich mir hiermit zu tun erlaube. Zugleich füge ich derselben noch bei die von dem früheren Chief Justice von Hongkong, Sir Francis Piggot, veröffentlichen [!] interessanten Briefe über die chinesische Staatsverfassung, sowie einige || Zeitungsblätter, welche die jüngsten politischen Ereignisse in China treffend schildern.

Die politische Lage im Reiche der Mitte ist zunächst noch recht unerfreulich. Die radikale Fortschrittspartei (Kuomingtang) hat mit ihrer Gegenrevolution einen großen Fehler begangen und sich dadurch sehr geschwächt. Ihr Führer, der zu Anfang so sehr gefeierte Dr Sun Yat-sun, weilt wieder als Verbannter in Japan, das Sympathie für ihn zeigt. Es ist zu hoffen, daß Yuan Shih-Kai die Republik erhalten und das Land vor dem Staatsbankrott bewahren wird. Das chinesische Parlament hat bisher wenig geleistet.

In Samshui hatte ich während des vorigen Monats eine sorgenvolle Zeit, da General Lung Chi-Kuang und die revolutionären Truppen sich hier gegenüberstanden. Glücklicherweise kam es nicht zu ernsten Gefechten, sonst wäre wohl der hiesige Vertragshafen || zerstört worden. Obendrein hatten wir hier während der ganzen Zeit Überschwemmung. Nach all’ diesen Erfahrungen werde ich froh sein im Mai des nächsten Jahres wieder einen längeren Heimatsurlaub antreten zu können, zumal da es mit meiner Gesundheit nicht sehr gut bestellt ist. Mein Weg wird mich dann wahrscheinlich von Hongkong aus über Rabaul, Sydney, Apia, Honolulu und durch den Panama-Kanal nach Europa führen. Doch wird die Reise eine sehr eilige sein müssen, da meine alte Mutter mich mit Ungeduld in Wiesbaden erwartet.

Mit meiner besten Empfehlung an Ihre hochverehrte Frau Gemahlin verbleibe ich in Verehrung

Ihr ganz ergebener

P. v. Rautenfeld

Brief Metadaten

ID
22317
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
China
Entstehungsland zeitgenössisch
China
Datierung
20.09.1913
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22317
Zitiervorlage
Rautenfeld, Paul von an Haeckel, Ernst; Sanshui; 20.09.1913; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22317