Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Sanshui, 20. September 1911

Sanshui, d. 20. September 1911

Hochgeehrter Herr Professor.

Ich statte Ihnen meinen besten Dank ab für Ihren liebenswürdigen Brief vom 31. Juli dieses Jahres und erkenne es hoch an, daß Sie trotz noch nicht ganz hergestellter Gesundheit sich die Mühe gemacht haben mir eigenhändig zu schreiben. Obgleich ich in der „Neuen Weltanschauung“, im „Monismus“ und „Menschentum“ über Ihr Befinden schon Nachricht erhalten hatte, so war es doch eine große Beruhigung für mich auch direkt von Ihnen zu hören.

Ich hoffe, daß Sie mittlerweile sich bereits der beabsichtigten Badekur unterzogen haben werden, und daß die Krücken nunmehr durch eine dickere Stiefelsohle, falls überhaupt nötig, || ersetzt sein werden. Bei der jetzt wohl schon kühleren Witterung in Deutschland wird Ihr Allgemeinbefinden hoffentlich auch ein besseres geworden sein und vielleicht kann dann doch noch von Ihnen schon diesen Winter – natürlich mit größter Schonung Ihrer Gesundheit – die Arbeit im Phyletischen Museum und die Niederschrift Ihrer Lebenserinnerungen, die auch mir sehr am Herzen liegen, wieder aufgenommen werden.

Ich erwarte mit Ungeduld das nächste Heft des „Monismus“, um über den Verlauf des ersten Monisten-Kongresses zu erfahren. Hamburg wird Sie, Herr Professor, während jener Tage sehr vermißt haben.

Die „Welträtsel“ besonders die englische Übersetzung von McCabe, werden auch in China viel gelesen. Neulich sah ich auch an Bord eines Handelsdampfers wie dessen erster Offizier eifrig die „Lebenswunder“ studierte. Auch die || billige englische Ausgabe der „Anthropogenie“ ist hier viel verbreitet. Ich selbst habe verschiedene Klub-Bibliotheken in China Ihre obigen Werke geschenkt und damit eine empfindliche Lücke in denselben ausgefüllt. Augenblicklich macht hier ein Buch von einem gewissen Lin Shao-Yang: „A Chinese Appeal to Christendom concerning Christian Missions“ (London, Watts & Co), viel von sich reden. Es schildert in der Tat das bornierte Treiben des christlichen Durchschnittsmissionars in China sehr wahrheitsgemäß und ist in so vorzüglichem Englisch geschrieben, daß es kaum glaublich erscheint, daß es einen Chinesen zum Verfasser haben kann. Lin Shao-Yang ist ein in der modernen chinesischen Literatur ganz unbekannter Mann. Das Buch würde, glaube ich, Sie und Ihre Frau Gemahlin auch interessieren.

In China lassen die politischen Verhältnisse ja ebenfalls manches zu wünschen übrig, was || zum Beispiel die gegenwärtigen Unruhen in Szechuan beweisen. Wir wollen hoffen, daß die chinesische Regierung die Oberhand behält, sonst könnte es leicht zu einem, besonders für die hiesigen Europäer höchst unliebsamen Chaos im Reiche der Mitte kommen.

Ich erlaube mir diesem Briefe einige Photogramme beizufügen, welche die vor ein paar Monaten hier stattgehabte Überschwemmung illustrieren.

Mit meiner besten Empfehlung an Ihre hochverehrte Frau Gemahlin und mit meinen aufrichtigsten Wünschen zu Ihrer baldigen, vollkommenen Genesung verbleibe ich

Ihr Ihnen treu ergebener,

P. v. Rautenfeld

Brief Metadaten

ID
22315
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
China
Datierung
20.09.1911
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22315
Zitiervorlage
Rautenfeld, Paul von an Haeckel, Ernst; Sanshui; 20.09.1911; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22315