Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Swatow, 30. August 1909

Swatow, d. 30. August 1909

Hochgeehrter Herr Professor.

Nachdem es sich nunmehr entschieden hat, daß ich hier in Swatow wieder längere Zeit angestellt bleibe, erlaube ich mir Ihnen Ihrem freundlichen Wunsche gemäß, meine gegenwärtige Adresse zu senden; sie bleibt nach wie vor: care of Customs, Swatow, South-China.

Meinen Brief und mein Glückwunschtelegramm aus Colombo werden Sie wohl im Februar erhalten haben und somit von meiner sehr erfolgreichen Reise durch Ceylon wissen. Ihr liebenswürdiges gedrucktes Schreiben, mit Einlagen, vom 21ten Februar ist mir, || wenn auch leider arg verspätet, hier zugestellt worden, wofür ich Ihnen meinen herzlichsten Dank abstatte. Die Treibereien des Keplerbundes finde ich empörend und die Bezeichnung „Fälscherbund“ für ihn sehr zutreffend. Es ist erfreulich, daß ein so hervorragender Embryologe wie Professor Maurer auch Stellung gegen ihn genommen hat. Ich habe mit großem Interesse zusammen mit Ihrer Erwiderung auch die von Professor Maurer im „Menschentum“ gelesen. Das „Menschentum“ giebt auch interessante Berichte über Ihre letzte Vorlesung im Zoologischen Institute und im Volkshause zu Jena.

Was nun meine Weiterreise von Ceylon nach China anlangt, so setzte ich Ende Februar von Colombo nach Tuticorin über, besuchte die berühmten südindischen Tempelstädte Madura, Trichinopoly (Sri Bangam) und Tanjore, und fand sogar Gelegenheit ein großes, bloß einmal in zwölf Jahren stattfindendes Hindufest am heiligen Teich zu || Kumbakonam, ein in fruchtbarer palmenreicher Gegend zwischen Tanjore und Madras gelegenes Tamilen-Städtchen, mitzumachen. Von Madras aus besuchte ich auch noch Mahabalipuram mit seinen durch künstlerisch hervorragende Skulpturen ausgezeichneten Nischentempeln aus dem 6ten Jahrhundert.

Mitte März befand ich mich in Rangoon. Nachdem ich die berühmte Shwe Dagon Pagode und die klugen Arbeitselephanten in den Sägewerken der Stadt wiederholt aufgesucht hatte, durchreifte ich ganz Birma, nordwärts bis nach Bhamo, von wo aus ich noch Dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen des dortigen Deputy Commissioner’s, eine zweitägige Steam-Launch-Fahrt den Drawadi hinauf, durch die erste, wildromantische Stromenge unternehmen konnte.

Nach Mandalay zurückgekehrt, fuhr ich ostwärts zur Bahn, in einem Tage über die Sommerfrische Maymyo nach der waldreichen Gokteik Schlucht, über welche eine sehr kunst-||voll gebaute eiserne Eisenbahnbrücke führt. Es herrschte leider im März und April große Dürre überall in Birma, so daß die sonst überaus üppige Vegetation des Landes nicht recht zur Geltung kam. Interessant waren für mich die zahlreichen blühenden Corypha-Palmen an den birmanischen Buddhatempeln, nach deren stattliche Blüte ich vergebens in Ceylon ausgeschaut hatte. Auch das Tierleben trat sehr zurück. Nur an den Ufern des oberen Irawadi hörte ich häufig das Kindergeschrei des Gibbon und sah prächtige Nashornvögel und Pfauen in den Bäumen, und zahlreiche Fischottern, Kormorane und Schlangenhalstaucher im Wasser. Die Bevölkerung bot auch viel des Interessanten und Anziehenden: die eigentlichen Birmanen, die Tamilen und Telegus in Niederbirma, die Ratschin, Schan, Karen u. s. w. in Oberbirma.

Nachdem ich so Birma nach allen Richtungen durchwandert hatte, ging ich direkt || von Rangoon nach Penang, wo ich wieder frischgrüne ceylonesische Landschaft genoß, besonders während eines Spaziergangs zum 3000 Fuß hohen, mit dichtem Urwald bewachsenen Crag Hill hinauf. Das planktontreiche Hafenbecken war von einem dichten grünen Schaum erfüllt, welcher sich unter dem Mikroskop als aus lauter Noktiluken bestehend erwies. Im netzförmigen Protoplasma jener Cystoflagellaten wimmelte es von grünen Körnchen, die sich frei zu bewegen schienen. Ob nicht hier eine Symbiose mit einer einzelligen Alge vorliegt, etwa in der Art wie sich die Xantheleen in anderen Tieren vorfinden? Bis dahin war mir noch nie bei meinen häufigen Untersuchungen der Noktiluken an den chinesischen und japanischen Meeresküsten sowie im indischen Ozean und im Mittelmeer eine „Noctiluca viridio“ vorgekommen. Auch der bekannte Laubmosforscher [!] und Landschaftsmaler Fleischer, welcher gerade a in demselben Hotel in Penang, || wo ich abgestiegen war, weilte, hatte, obgleich eifriger Mikroskopiker, noch nie grüne Noctiluken gesehen.

Von Georgetown setzte ich in ungefähr zwanzig Minuten nach dem auf dem Festlande gegenüberliegenden Prai über und fuhr per Bahn meist durch frischgrüne dichte Dschungeln, die in der Nähe der zahlreichen Stationen ausgedehnten Gummipflanzungen, Kokosplantagen und Zuckerrohrfeldern Platz machten, in zehn Stunden nach Kuala Lumpur, der schönen Hauptstadt der „Federated Malay States“. Es fehlte auf der Fahrt auch nicht an großartiger Gebirgslandschaft und an meinen lieben Chinesen, die zu Hunderten mit Frauen und Kindern auf den Feldern mit Zinnwaschen beschäftigt waren. So mancher von ihnen ist durch Ausdauer und Sparsamkeit zu einem steinreichen Zinngrubenbesitzer geworden.

Weitere fünf Stunden per Bahn brachten mich nach dem altklassischen Malakkahafen || mit seinen anmutigen Malaiendörfern in dichten Kokospalmenhainen am Meeresstrande und den malerischen Ruinen des Kastells auf einer Anhöhe, sowie mit dem abends rosaschimmernden Mount Ophir im Hintergrunde. Schließlich gelangte ich von Malakka in einer Nacht per Küstendampfer nach Singapore und schiffte mich dort noch am selben Tage direkt nach Hongkong ein, wo ich Ende April eintraf und die dienstliche Order vorfand mich nach dem benachbarten Swatow zu begeben.

Ich erlaube mir diesem Briefe einige eigene Momentaufnahmen beizufügen, die Ihnen meine jüngste indische Reise illustrieren werden, sowie meine Photographie mit dem Ritterkreuz vom weißen Falken, auf das ich ganz besonders stolz bin, weil es mir für meine Bemühungen um die Wissenschaft verliehen worden ist.

Ich hoffe, hochverehrter Herr Professor, daß Sie nach dem Rücktritt aus dem Staatsdienste || jetzt mehr Ihrer Gesundheit werden leben können und daß Ihre schöne Schöpfung in Jena, das Phyletische Museum, Ihnen viel Freude bereiten wird, indem es sich rasch unter Ihrer direkten Oberaufsicht entwickelt. Ein vollständiges Affenskelett aus Japan wird wohl auch schon zu Beginn dieses Jahres als ferner von mir versprochener Beitrag in Ihren Besitz gelangt sein. Ich selbst erhielt vor kurzem aus Canton zugeschickt Herrn Paul Brohmer’s interessante Abhandlung über den Kopf eines von mir Ihnen geschenkten Embryos von Chlamydoselachus und habe den Empfang jener Schrift bereits dankend bestätigt.

Mit meiner allerbesten Empfehlung an Ihre hochverehrte Frau Gemahlin verbleibe ich in vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebenster

P. v. Rautenfeld

a gestr.: gerade

Brief Metadaten

ID
22308
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
China
Entstehungsland zeitgenössisch
China
Datierung
30.08.1909
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
12,6 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22308
Zitiervorlage
Rautenfeld, Paul von an Haeckel, Ernst; Swatow; 30.08.1909; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22308