Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Swatow, 31. August 1905

Swatow, d. 31. August 1905

Hochgeehrter Herr Professor!

Meinen aufrichtigsten Dank für die liebenswürdige Übersendung Ihrer Berliner Vorträge, von welchen ich vor kurzem ein Exemplar vom Verleger derselben in Ihrem Auftrage erhielt. Zunächst hat mir Ihr neues Portrait in dem Buche viel Freude gemacht. Sie sehen darauf anstatt älter, jünger aus. Dann habe ich mit großem Interesse die drei Vorträge gelesen, welche in nucleo die gesamte monistische Philosophie || enthalten. Ein vorhergehendes aufmerksames Studium der „Welträtsel“ und „Lebenswunder“ sowie der neuesten Auflage der „Anthropogenie“ hat mich so recht die hohe Bedeutung der Vorträge erfassen lassen.

Die unzweideutige Wahrheit zu hören war natürlich nicht nach dem Sinn der Vertreter des Berliner reaktionären, feigen Geistes und so hat es leider an erbärmlichen kritiklosen Angriffen auch bei dieser Gelegenheit nicht gefehlt, welche dabei, wie zum Beispiel die Naturwissenschaftliche Wochenschrift, sogar höhere Kritik vorschützen. Letztere ist mir in Folge dessen so unsympathisch geworden, daß ich das Abonnement auf sie gekündigt und zugleich in || einem Brief der Redaktion geradeheraus meine entgegengesetzte Ansicht ausgesprochen habe.

Ich hoffe, daß Sie, Herr Professor, diesen Sommer die Universitäts-Ferien angenehm verbracht haben werden, trotz der Überfälle von Seiten der schwarzen Heerscharen. Ich selbst bin glücklicher Weise bis jetzt in diesem Jahre von meinem lästigen Augenleiden verschont geblieben und kann mich daher ab und zu an das benachbarte Meer begeben um Plankton zu fischen.

Radiolarien habe ich zu meinem Bedauern bis jetzt noch nicht gefangen sonst aber eine Fülle anderer Protozoen und Protophyten sowie die bekannten Metazoen des Planktons || nebst ihren Larvenformen.

Die Noctiluca miliaris kam a während der beiden letzten Monate in ungeheuren Mengen hier im Meere vor, dasselbe stellenweise deutlich rot färbend. Leider ist es mir noch nicht gelungen den Verlauf der Conjugation jener interessanten Cystoflagellaten in der Art wie es Professor Dschikawa gethan hat, zu verfolgen.

Ich kann mir nichts Reizvolleres denken als das Beobachten und Zeichnen des Planktons unter dem Mikroskop. Leider bin ich aber im Mikroskopieren und Herstellen von Dauerpräparaten noch vollkommener Laie. Ich nehme mir daher vor während meines nächsten Urlaubs einen Winter in Neapel zu || verbringen, um dort am biologischen Institute mir jene Fertigkeiten anzeigen zu lassen, damit ich späterhin nicht nur rein egoistisch durch bloße Beobachtung mir allein Genuß und Belehrung verschaffe sondern auch bescheidener Handlanger für die Wissenschaft sein kann.

Meinen Urlaub bekomme ich aber erst nach zwei Jahren, falls die Verhältnisse in China es dann gestatten. Das Reich der Mitte ist infolge der jüngsten großen Waffenerfolge seiner stammverwandten Nachbarn rascher als erwartet aus seiner langen Lethargie erwacht und die „gelbe Gefahr“ gewinnt damit mehr an Gestalt. Obgleich die Zeiten || eines Tschingiskhan und Timur wohl kaum wiederkehren werden, so dürfte doch der Arius in Zukunft seine Stellung in China viel schwerer behaupten können.

Indem ich Ihnen nochmals, Herr Professor, meinen besten Dank für Ihre lehrreichen Vorträge abstatte, bleibe ich in

Verehrung

Ihr ergebener,

P. v. Rautenfeld

a gestr.: während

Brief Metadaten

ID
22287
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
China
Entstehungsland zeitgenössisch
China
Datierung
31.08.1905
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
4
Format
11,3 x 18,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22287
Zitiervorlage
Rautenfeld, Paul von an Haeckel, Ernst; Swatow; 31.08.1905; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22287