Paul von Rautenfeld an Ernst Haeckel, Swatow, 25. Oktober 1904

Swatow, d. 25. Oktober 1904

Hochgeehrter Herr Professor!

Erlauben Sie mir Ihnen meinen aufrichtigsten Dank für Ihren liebenswürdigen Brief vom 15. August auszusprechen. In Anbetracht der erdrückenden Korrespondenz, welche Ihnen oblag, betrachte ich es als eine besondere Gunst, die sie mir erwiesen, noch außer dem gedruckten Brief eigenhändig mir zu schreiben.

Mit großer Ungeduld erwarte ich Ihre neuste biologische Schrift „Die Lebenswunder“, welche mich ungemein interessieren wird. Herr Professor Hans Meyer erregte bereits im Dezember vorigen Jahres || meine Wißbegierde mit der Mitteilung, daß Sie in Rapallo litterarisch thätig wären, doch war ihm die Arbeit damals selbst noch unbekannt. Die Finsterlinge unter Ihren unvermeidlichen Gegnern werden wohl wieder den Büchermarkt mit inhaltsleeren Gegenschriften erfüllen, doch hoffe ich, daß dieses Sie in der erwünschten Ruhe nicht stören wird.

Die fünfte Auflage der Anthropogenie erhielt ich sehr bald nach ihrem Erscheinen von meinem Hamburger Buchhändler und habe nicht nur den erweiterten Text studiert, sondern sehe mir noch immer mit großem Interesse die vielen seltenen Illustrationen an.

Was meine Übersetzung des Altenburger Vortrags ins Chinesische betrifft, so ist sie ja bloß ein schwacher Versuch gewesen und || es dürfte daher vielleicht der Ehre genug sein, wenn die beiden Manuskripte, (das zweite eignet sich überhaupt nur zum Druck), ein Plätzchen in Ihrer Bibliothek fänden. Ein chinesischer Freund von mir, den ich seiner Zeit hier in die monistische Philosophie einführte, übersetzt jetzt mit Eifer „Die Welträtsel“ ins Chinesische und wird glaube ich bei Ihnen bald um Erlaubnis seine Arbeit in China zu veröffentlichen, einkommen. Er benutzt die englische Volksausgabe, da er des Deutschen nicht mächtig ist.

Es freut mich, daß Sie meine Photographien amüsiert haben. Ich erlaube mir noch einige eigene Momentaufnahmen, welche das Leben und Treiben in und um Swatow illustrieren, in diesem Brief einzulegen. Außerdem bin ich so frei in einem sogenannten Couvert Ihnen zweihundert || verschiedene Portraits von von hier nahe Sandakan ausgewanderten Kuantunger Kulis zu senden. Die Bilder sind leider nicht alle dem hiesigen Photographen gelungen, werden Ihnen aber vielleicht trotzdem vom anthropologischem Interesse sein. Alle Photographien stehen Ihnen natürlich zu vollkommen freier Verfügung.

Soeben erlaubte ich beim Schreiben dieses Briefes ein amüsantes zoologisches Abenteuer. Plötzlich fielen mir aus der Feder eine Anzahl kleiner gelber Spinnen auf das Papier, die zuerst wie tot dalagen, aber bald darauf ihre Beine langsam zu bewegen anfingen. Nach weiterem Schütteln des hohlen Federstiels kam ein neues Häufchen Spinnen zum Vorschein und schließlich schlüpfte eine kleine schwarze Wespe heraus. So hatte ich denn vermutlich tagelange ein || Wespennest mit lebendigen Spinnen und Wespen beim Schreiben, nichts ahnend, zwischen meinen Fingern gehalten. Die Wespe ist übrigens in den beiseite gelegten Federstiel wieder hineingeflogen und ich lasse sie zunächst ruhig gewähren, um zu sehen wie bald das Nest mit frischen Spinnen wieder versorgt sein wird.

Mit meinem herzlichen Dank für Ihre freundliche Erkundigung nach meiner Gesundheit, mit der es glücklicherweise wieder besser steht, und für Ihre Einladung nach Jena zu kommen, welcher ich mit größter Freude nach ungefähr drei Jahren Folge leisten werde, verbleibe ich in Verehrung,

Ihr ergebenster,

P. v. Rautenfeld

Brief Metadaten

ID
22280
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
China
Entstehungsland zeitgenössisch
China
Datierung
25.10.1904
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
5
Umfang Blätter
4
Format
12,6 x 20,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 22280
Zitiervorlage
Rautenfeld, Paul von an Haeckel, Ernst; Swatow; 25.10.1904; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22280