Carl Rabl an Ernst Haeckel, Prag, 8. Dezember 1887

Prag, 8. December, 87.

Hochverehrter Herr Professor!

Da ich weiss, dass Sie stets einen lebhaften Antheil an meinem Schicksale nehmen, erlaube ich mir, Ihnen von einem für mich und damit zugleich auch vielleicht für Ihre Schule in Österreich wichtigen Ereignisse Mittheilung zu machen. Gestern Abends ist nämlich Langer in Wien gestorben und es steht daher die Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Anatomie in Frage. Leider ist der Fall für mich um einige Jahre zu früh eingetreten, so dass ich keine sichere Hoffnung hegen kann, Langer’s Nachfolger zu werden. Immerhin sind aber meine Aussichten nicht || ganz ungünstig. Von österreichischen Anatomen werden nämlich nur Zuckerkandl und ich in Betracht kommen; die Anatomen von Innsbruck, Lemberg, Pest und der hiesige czechische Anatom bleiben ganz gewiss ausser Frage. Da ich Zuckerkandl und seine Richtung genau kenne, kann ich nicht wünschen, dass er nach Wien berufen werde. Andererseits verhehle ich mir nicht, dass ich noch zu jung bin und zu wenig geleistet habe, um an Stelle Langer’s die erste anatomische Lehrkanzel Österreichs einzunehmen,

Man wird sich gewiss auch in Deutschland nach einem Ersatz umsehen. Aber es ist, wie ich glaube, sehr schwer, unter den jüngeren Leuten einen durchaus tauglichen zu finden, zumal der || einzige, der a in Frage kommen könnte, Oscar Hertwig, nach Berlin berufen ist. Ruge hat noch nie einen eigenen Gedanken gehabt, Bardeleben ist zu unbedeutend, an die, gewiss recht tüchtigen Bresslauer Anatomen Roux und Born ist wohl auch kaum zu denken und die übrigen sind fast durchgehend offene oder verkappte Anhänger der His’schen Richtung. An ältere Forscher ist selbstverständlich nicht zu denken, schon deshalb nicht, weil in Österreich jeder Professor nach zurückgelegten siebenzigsten Lebensjahre in die Pension zu treten hat.

Ich glaube auch, dass man in Österreich nicht so leicht einen Ausländer berufen wird. Es wird doch vielleicht am Schlusse nur die Wahl zwischen Zuckerkandl und mir bleiben. Wer von uns || durchdringen wird, hängt natürlich in erster Linie vom Wiener Professorencollegium und vom Ministerium ab. Den Vorschlag wird wohl Toldt zu machen haben, der mir wohlgesinnt ist; sehr wichtig, ja vielleicht auschlaggebend wird das Votum Billroth’s und Brücke’s sein, namentlich dasjenige Billroth’s, der auch im Ministerium einen grossen Einfluss besitzt.

Soviel von dieser Angelegenheit. –

Ich werde im Februar eine grössere Arbeit über die Bildung und Differenzirung des Mesoderms abschliessen; es werden ihr acht oder vielleicht neun grosse Tafeln beigegeben sein, von denen ich vier schon gezeichnet habe. Ich bin mir jetzt über die Entstehung des Mesoderms bei den Gelachiern, Vögeln und Säugethieren vollkommen klar und glaube, dass Sie mir in Allem Recht || geben werden. Ich habe, seitdem ich in Jena war, ununterbrochen daran gearbeitet. Auch die Entwicklung des Bindegewebes habe ich herausgebracht und werde daher der Parablastentheorie an den Leib rücken. Vielleicht werde ich die Arbeit zuerst an Hertwig schicken, damit er sie noch für die zweite Auflage seines Lehrbuches benutzen kann. – Ich lasse ihn bestens grüssen.

An Ihre hochverehrte Frau Gemalin meinen Handkuss. Walther lasse ich schön grüssen; er soll einmal nach dem „goldenen“ Prag kommen.

Hochachtungsvoll

Ihr treu ergebener Schüler

Rabl.

a gestr.: etwa

Brief Metadaten

ID
22027
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Tschechien
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich-Ungarn
Datierung
08.12.1887
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,0 x 22,2 bzw. 14,0 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 22027
Zitiervorlage
Rabl, Carl an Haeckel, Ernst; Prag; 08.12.1887; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22027