Carl Rabl an Ernst Haeckel, Prag, 9. Mai 1886

Prag, 9. Mai, 86.

Hochverehrter Herr Professor!

Soeben lese ich in der Zeitung, dass Sie am 3. Mai Ihr 25jähriges Docenten-Jubilaeum gefeiert haben. Wenn ich nun auch vielleicht der letzte Ihrer Schüler bin, der Ihnen seine Glückwünsche darbringt, so sind doch gewiss keinem die Wünsche aufrichtiger vom Herzen gekommen, als mir. Habe ich Ihnen doch einen guten Theil meiner wissenschaftlichen Ausbildung und damit auch einen guten Theil dessen, was ich bisher erreicht habe, zu verdanken.

Ich kenne Sie eigentlich schon länger und bin schon länger Ihr Schüler, als Sie vielleicht glauben. Ich war zuerst auf Sie aufmerksam geworden durch die Lectüre von Büchner’s „Stellung des Menschen in der Natur“, ein Buch, das ich auf dem Schreibtische meines Vaters gefunden hatte. Bald darauf || begegnete ich Ihrem Namen wieder in Spiller’s „Kosmogenie“ und das war der Grund, dass ich mir Ihre „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, deren zweite Auflage gerade erschienen war, anschaffte. Ich war damals etwa sechzehn Jahre als und warf mich nun mit dem ganzen Eifer eines jungen Burschen, dem der Kirchenglaube lästig geworden ist, auf die Lectüre Ihres Buches. Damals fasste ich auch den Entschluss, so bald als möglich nach Jena zu pilgern, um mit Ihnen persönlich bekannt zu werden. Zuerst aber ging’s nach Wien und im October 1873 nach Leipzig; dass ich, der ich nach Jena wollte, nach Leipzig ging, hatte seinen guten Grund. Ich wollte das deutsche Studentenleben, über das ich schon viel gehört und gelesen hatte, erst in einer grösseren Stadt kennen lernen, um mich dann besser in das Jenenser Treiben finden zu können. Am 21. November 73 machte ich in Begleitung Ihres ehemaligen Schülers Dr Helm von Leipzig aus einen Ausflug nach Jena. || Natürlich benutzte ich die Gelegenheit, Sie mit meinem Besuche zu belästigen. Ich muss Ihnen damals als ein recht dummer Kerl erschienen sein, denn ich war vor Befangenheit kaum im Stande, das Maul aufzuthun. Ich war denn auch mit mir selbst recht unzufrieden; es lag mir so viel auf dem Herzen und ich hatte eigentlich nichts gesagt. Im April 1874 wurde ich dann Ihr Schüler in des Wortes eigentlichster Bedeutung.

Sie sehen, wie genau mir noch alles im Gedächtniss ist; aber dieser Umstand kann Ihnen ein Beweis sein, wie hoch ich Ihren Einfluss auf meinen Entwicklungsgang anschlage. Sie sollen auch an mir keine Schande erleben; freilich werde ich nicht mit solcher Hast publiciren, wie es vor wenigen Jahren die Hertwig’s gethan haben. Gut Ding braucht Weile; ich bereite seit zwei Jahren eine Monographie über die Entwicklung der Säugethiere vor, welche ich in vier bis fünf Jahren fertig zu stellen hoffe. Ich besitze gegenwärtig schon nahezu dreissigtausend Schnittpraepa-||rate von Säugethier-Embryonen, darunter etwa fünftausend vom Menschen und meine Serieen sind, wie ich glaube, schöner, als die schönsten, die ich in Neapel gesehen habe. Im nächsten Herbst will ich anfangen, einzelne Capitel zu veröffentlichen; das Ganze aber soll im Zusammenhang als Monographie von drei grösseren Bänden erscheinen. Damit hoffe ich auch am erfolgreichsten den grossen und leider immer mehr um sich greifenden Einfluss His’ brechen zu können.

Natürlich werde ich auch niedere Wirbelthiere, vor Allem Selachier und Amphibien zum Vergleiche heranziehen.

Und nun kommt eine Bitte; sollten Sie entwicklungsgeschichtliches Material entbehren können, so würde ich Ihnen ausserordentlich dankbar sein, wenn Sie mir dasselbe schickten. Ich habe auch mit Preyer in Neapel gesprochen und er hat mir versprochen, Material zu schicken. Ich werde mir demnächst erlauben, Ihnen meine Härtungsmethode mitzutheilen. –

An Ihre hochgeehrte Frau Gemahlin meine besten Empfehlungen.

Ihr treu ergebener Schüler

Rabl.

Brief Metadaten

ID
22026
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Tschechien
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich-Ungarn
Datierung
09.05.1886
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 22026
Zitiervorlage
Rabl, Carl an Haeckel, Ernst; Prag; 09.05.1886; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22026