Carl Rabl an Ernst Haeckel, Wien, 25. Mai 1885

Wien, 25. Mai, 85.

Hochverehrter Herr Professor!

Ich danke Ihnen bestens für Ihre freundlichen Zeilen. Mein Extraordinariat scheint allerdings noch nicht ganz sicher zu sein, aber es ist doch vielleicht zu hoffen, dass der Widerspruch, der namentlich von einer Seite dagegen erhoben wurde, verstummen werde. Lieber wäre es mir freilich, wenn ich auf einem etwas weniger exponirten Posten stehen könnte.

Übrigens darf ich mich in diesem Sommer nicht beklagen, da ich den grössten Theil der Zeit für meine Arbeit über Hirnentwicklung verwenden kann. Diese führt mich immer weiter und weiter und ich sehe mich nun auch genöthigt, die Entwicklung der Faserung des Rückenmarkes und Gehirns zu verfolgen, was eine ungemein mühsame Sache ist. Aber ich bin überzeugt, dass man nur || desshalb so herzlich wenig über die Leitungsbahnen im Hirn und Rückenmark weiss, weil man bisher die Verhältnisse bei niederen Wirbelthieren, vor Allem bei Urodelen, sowie die allmähliche Entwicklung der Fasersysteme nahezu ganz ausser Acht gelassen hat.

Ich werde heuer wieder die Naturforscherversammlung besuchen und dort Praeparate über Zelltheilung und über Segmentirung des Hirns demonstriren.

Wenn die Zeit es gestattet und ich Ihnen nicht lästig falle, werde ich mir erlauben, Sie in der zweiten Hälfte Juli zu besuchen. Ich wollte schon im vorigen Jahre kommen, bin aber zuerst nach Heidelberg gegangen und habe dann fast den ganzen August an der Nordsee vertrödelt. Heuer werde ich fast die ganzen Ferien in meiner Heimat verbringen und fleissig Kaninchen züchten müssen. Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, wie sehr es mich freuen und wie sehr || ich mich geehrt fühlen würde, wenn ich Sie einmal bei meinen Eltern sehen könnte. So schön ist es freilich in Wels nicht, wie in Goisern oder überhaupt im Salzkammergute, denn Wels liegt in einer ziemlich langweiligen Ebene; aber es lassen sich doch ganz hübsche Ausflüge in die weitere Umgebung machen. Auch gibt es in Wels keine Gesellschaften; aber mein Vater ist ein so lieber und vernünftiger alter Herr, dass Sie gewiss auf ein paar Tage jede andere Gesellschaft verschmerzen würden.

An Ihre Frau Gemahlin meine besten Empfehlungen.

Hochachtungsvoll

Ihr

treu ergebener Schüler

Rabl.

Brief Metadaten

ID
22023
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich-Ungarn
Datierung
25.05.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,4 x 22,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 22023
Zitiervorlage
Rabl, Carl an Haeckel, Ernst; Wien; 25.05.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22023