Carl Rabl an Ernst Haeckel, Wien, 30. April 1885

Wien, 30. April, 85.

Hochverehrter Herr Professor!

Obwohl ich fürchten muss, dass Sie mir wegen meines langen Schweigens böse sein werden, erlaube ich mir doch, Ihnen in Kürze von einigen mich betreffenden Angelegenheiten Nachricht zu geben. Denn ich darf wohl hoffen, dass Sie an mir, als einen Ihrer Schüler einigen Antheil nehmen werden.

Ich wurde am letzten Samstag von Langer zum Extraordinarius für Anatomie vorgeschlagen und es wurde ein Comité, bestehend aus den Professoren Langer, Toldt und Kundrat, mit dem Referate betraut. Obwohl nun meiner Ernennung, wie ich bestimmt weiss, von Seiten des Ministeriums keine Hindernisse in den Weg gelegt werden, so ist es bei der großen Zerfahrenheit im Professorencollegium und der hier, wie wohl überall grassirenden Urtheilslosigkeit doch sehr leicht möglich, dass a der Vorschlag abge-||wiesen werde. Für mich sind namentlich Langer und Brücke, gegen mich vor Allem Stricker und wahrscheinlich auch Nothnagel; letzterer desshalb, weil ich unlängst im physiologischen Club die Unvorsichtigkeit begangen habe, ihm zu sagen, dass er in morphologischen Dingen einen beschränkten Standpunkt einnehme.

Sollte nun der Vorschlag abgewiesen werden, so würde ich Wien verlassen und nach Jena kommen, um mich daselbst für Anatomie oder aber für Histologie und Embryologie zu habilitiren. Hoffentlich würden einem solchen Vorhaben keine allzu grossen Hindernisse im Wege stehen. Zur näheren Orientirung erlaube ich mir, Ihnen Folgendes mitzutheilen. Ich habe vier Jahre im physiologischen, anderthalb Jahre im pathologisch-anatomischen Institute gearbeitet, war ein halbes Jahr Demonstrator an der pathologischen Anatomie, bin seit mehr als drei Jahren bei einer Zahl von nahezu tausend Studenten und einem Material von jährlich über 800 Leichen Prosector und seit zwei Jahren Privatdocent für || Anatomie; überdies habe ich ein volles Jahr bei einer Hörerzahl von 127 im Winter und 105 im Sommer Parallelvorlesung über Anatomie gehalten. – Demnach dürfte ich wohl die nöthige Qualification für die Privatdocenten besitzen.

Ich möchte Sie nun herzlich bitten, mir bei Gelegenheit in Kürze schreiben zu wollen; erstens ob und unter welchen Bedingungen ich mich, gegebenen Falles, in Jena habilitiren könnte, und zweitens, wie lange es nach Ermessen dauern dürfte, bis ich Extraordinarius würde, gleichviel ob mit oder ohne Gehalt. Auch wäre es mir wichtig zu erfahren, ob ich etwa noch einmal das Doctorat zu machen hätte. Ich habe hier alle Prüfungen (nämlich die sogenannten Vorprüfungen und die drei Rigorosen, letztere per majora) mit „ausgezeichnetem“ Erfolge bestanden, aber ich habe doch nicht Lust, mich noch einmal zur Pharmakologie oder Syphilis zu setzen.

Ich hoffe nun allerdings, dass es nicht so weit kommen werde, aber ich bin auch fest entschlossen, meine Stelle sofort niederzulegen, falls Langer’s Vor-||schlag nach Einbringung des Referates abgewiesen würde.

Nun aber von etwas Anderem.

Ich danke Ihnen vielmals für die Übersendung Ihrer Abhandlung über den Ursprung der Gewebe; ich werde demnächst davon Gebrauch zu machen haben. Hoffentlich haben Sie meine Abhandlung über Zelltheilung erhalten. – Jetzt habe ich eine Arbeit über Segmentirung des Hirnes und Schädels vor; eine kurze Notiz ist im „Zoologischen Anzeiger“ erschienen. Ich finde nun auch bei den Amphibien das Hirn segmetirt und gleichzeitig im Kopf neun Mesodermsegmente, also ebenso viel van Wijhe bei Haien. Ich werde auch bei Säugethieren und Knochenfischen nachsehen; Petromyzon ist zu stark abgeändert und von Ganoiden kann ich keine Eier bekommen.

Was werden Sie in den grossen Ferien anfangen? Ich bitte Hertwig von mir zu grüssen.

Ich verbleibe in aufrichtiger Dankbarkeit

Ihr treu ergebener Schüler

Carl Rabl.

a gestr.: V

Brief Metadaten

ID
22022
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich-Ungarn
Datierung
30.04.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 23,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 22022
Zitiervorlage
Rabl, Carl an Haeckel, Ernst; Wien; 30.04.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22022