Carl Rabl an Ernst Haeckel, Wien, 25. Juni 1881

Wien 25. Juni, 81.

Hochverehrter Herr Professor!

Ich danke Ihnen bestens für Ihren freundlichen Brief und bitte Sie, mir’s nicht übel zu nehmen, dass ich denselben erst heute beantworte. Aber ich bin gegenwärtig so beschäftigt, dass ich kaum die nothwendigste Correspondenz besorgen kann. Seit Anfang April bin ich nämlich an Bamberger’s Klinik als „Aspirant“ angestellt und überdies habe ich in diesema Semester für einen kranken Collegen die Stelle eines Demonstrators der pathologischen Anatomie übernommen. Ich bin also ganz in das Fahrwasser der praktischen Medicin gerathen, hoffe aber, dasselbe im October wieder verlassen zu können.

Ich habe bis Weihnachten über die Haut- und Schleimhautepithelien der Amphibien || gearbeitet und damit viel Zeit vertrödelt. Da ich aber bis dahin zu keinem Abschlusse gelangt bin, habe ich die Arbeit einstweilen bei Seite gelegt, und mich entschlossen, vorherb endlich einmal den Rest der medicinischen Prüfungen fertig zu machen. Inzwischen ist von Pfitzner, Gegenbaur’s Assistenten, eine Abhandlung über die Amphibienepidermis erschienen, die jedoch viele grobe Fehler enthält.

Nun aber über Ceylon! Aus meinem Telegramm werden Sie wohl ersehen haben, wie sehnlichst ich gewünscht hätte, Sie dahin begleiten zu dürfen. Seit ich in Peschel’s Erdkunde gelesen habe, dass nach Sclater’s Hypothese Ceylon einen Rest des untergegangenen Lemuriens vorstelle und die durch die Adamsbrücke hergestellte Verbindung mit Vorderindien nur eine Folge der seculären Hebung der Inselc sei, will mir das schöne Eiland nicht aus dem Sinn und ich gebe || die Hoffnung nicht auf, dasselbe früher oder später doch besuchen zu können. Ich denke, dass sich gerade in Ceylon – vorausgesetzt, dass Sclaters Theorie richtig ist – d noch Spuren des Kampfes der tertiären Fauna und Flora mit jenen der Jetztzeit müssen nachweisen lassen.

Aber dennoch ist’s vielleicht gut, dass ich nicht mit Ihnen reisen kann. Denn eine solche Expedition braucht, um fruchtbringend zu werden, eine gründliche Vorbereitung und wenn ich, unmittelbar vom leidigen grünen Tische weg, in eine mir so ganz und gar unbekannte Region steurte, so würde mir wohl sehr viel Schönes und Wissenswerthes völlig entgehen. Ich will daher lieber im nächsten Winter nach Neapel oder Messina pilgern und dort Pteropoden- oder Cephalopodenentwicklung untersuchen.

Dann aber werde ich mich irgendwo habilitiren. Mein einziges Streben geht jetzt dahin, so bald als möglich von hier weg zu kommen. ||

Ihre schöne Monographie der Medusen habe ich, soweit sie erschienen ist, schon vor längerer Zeit bei Claus gesehen. Claus hat es sich nicht nehmen lassen, darüber einige unnütze Worte unter der Form einer „Kritik des Äquoridensystems“ zu veröffentlichen. Im Übrigen hat er sich aber, was Ihnen natürlich ganz gleichgültig sein kann, wiederholt sehr anerkennend geäussert.

Im September werde ich vielleicht auf der Salzburger Naturforscherversammlung meine Schnitte durch Schnecken-Embryonen – über sechshundert – demonstriren.

Es würde mich ausserordentlich freuen, wenn ich erfahren könnte, wann Sie hier durchreisen. Sie wissen ja, wie sehr ich an Ihnen hänge und wie es mich freuen würde, Sie wieder einmal zu sehen. Vielleicht kommen Sie nach Salzburg?

Ich verbleibe mit ausgezeichneter Hochachtung

Ihr dankbarer Schüler

Rabl.

a korr. aus: diesenn; b korr. aus: voher; c korr. aus: Inseln; d gestr.: d

Brief Metadaten

ID
22016
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Österreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich-Ungarn
Datierung
25.06.1881
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 22016
Zitiervorlage
Rabl, Carl an Haeckel, Ernst; Wien; 25.06.1881; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_22016