Edward C. Hegeler an Ernst Haeckel, La Salle, 19. Februar 1895
E. C. HEGELER
LA SALLE ILLINOIS.
Lasalle d. 19. Februar 1895
Hochgeehrter Herr Professor!
Besten Dank für die herrliche Büste von Ihnen, die in meinem Arbeitszimmer hier gerade vor mir steht!
Nachdem Sie seit mehr als einem Vierteljahrhundert durch den Eindruck Ihrer Schriften eine große Rolle in meinem Denken mitgespielt haben, werden Sie darin durch das schöne Werk der plastischen Künste von „spiritualized clay“1) mehr zu einer wirklichen Person. Auch für die schönen Photographien von Ihnen freundlichen Dank – (die für andere bestimmten sind heute an dieselben abgegangen) und Dank auch für das schöne Exemplar vom „Pithecanthropus alalus“. Sehr erfreut hat mich Ihre so freundliche Aufnahme meiner Betheiligung an der Feier Ihres 60. Geburtstages, wie Sie solche in Ihrem Briefe vom 8. März 94 und wieder in dem vom 25. Juli 94 aussprechen. Indem wir Gleichgesinnte zu ehren suchen ehren wir uns selbst.
Es war in den ersten Siebziger-Jahren als durch die Weserzeitung meiner Vaterstadt Bremen in einer Abhandlung über Ihre „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ der Begriff des Monismus der Natur, der Gott und die Welt eins macht, zu mir drang und in mir der siegreiche Gedanke in dem schon lange dauernden Gedankenkampfe gegen den Atheismus wurde. Jene Abhandlung und bald darauf das gleich bestellte Buch machten mir die natürliche Entwickelung des Menschen zur erwiesenen Thatsache. Besonders zog mich zu Ihnen, daß Sie das Wahre und Schöne der alten Religion festzuhalten suchten. Der Bericht der Taufe eines Ihrer Kinder schwebt in dieser Verbindung in meiner Erinnerung. ||
Wie eben erwähnt in Bezug auf die Gottesidee hielt ich auch mit Zähigkeit an der Unsterblichkeitsidee fest, bis ich auch darin auf positiven Boden kam.
Einen philosophischen Freund, Lehrer und Kritiker hatte ich in Karl Theodor Bayrhoffer. vordem Professor der Philosophie in Marburg. Er war ein heftiger Gegner der Unsterblichkeitsidee und ich suchte ihn für die Unsterblichkeitsidee in Gustav Freytags „Die verlorene Handschrift“ zu gewinnen. In dem Kampfe forderte ich ihn auf mir eine kurze schriftliche Definition von „Geist“ zu geben. Er schrieb wieder „der Geist ist eine Aktivität des Nervensystems“ und ich hatte zu entgegnen: „er ist nicht diese Aktivität sondern die Form dieser Aktivität. Ich wollte ihm weitere Illustrationen aus „Der verlorenen Handschrift“ geben, aber er wollte nichts Weiteres. „Die Consequenzen kann ich selbst ziehen“, sagte er.
Von Bayrhoffer wurde ich gelehrt, daß der Begriff „Materie“ eine Abstraction ist – also eine Abstraction von den wirklichen Dingen in der Welt. Ich habe mir das so zurecht gelegt, daß diese Abstractionen sich im Menschengehirn bilden, ähnlich wie eine „composite photography von vielen ähnlichen Photographien aus diesen entsteht. Was verschieden in diesen ist verschwindet im „composite“, nur was gleich in ihnen ist, bleibt. Somit ist das composite in alle den einzelnen Photographien ganz enthalten mit verschiedenen Zusätzen in jeder. In ähnlicher Weise komme ich zu der Abstraction „Form“. Ebenso wie ich alle äußere Form eines Dinges ausschließe, wenn ich von der Materie in demselben spreche, schließe ich, wenn ich von der äußeren Form eines Dinges spreche, alles was dieselbe füllt aus. Von diesem darf ich nicht sprechen. Darin liegt die Abstraction.
Wir sind wohl alle in die Idee hineinerzogen, daß die Form keinen Werth hat, da sie zerstörbar a oder vergänglich sei, während Materie und auch Energie ewig dauerten. ||
Aber gerade in der Beseitigung dieses Trugschlusses in Bezug auf die Form liegt die Lösung des religiösen Problems. Die Beziehungen gewisser Formen sind ewig. In einem Dreiecke dessen Seitenlängen 3,4 und 5 sind schließen die Seiten 3 und 4 immer und irgendwo einen rechten Winkel ein, und dasselbe gilt von allen Geistes- oder Seelenformen.
Mit Weiterem will ich Sie hier nicht plagen. Ich glaube, ich sandte Ihnen vor längerer Zeit schon die ganzen Jahrgänge des Open Court. In No 1 und No 15 des ersten Jahrganges habe ich nähere Auseinandersetzungen gemacht.
Diese Unsterblichkeitsidee hat mich zum Handeln in dem Beginn des Open Court Unternehmens gebracht und mich dabei gehalten bei geringem äußeren Erfolge, die großen Geldsummen, die es jährlich nimmt als moralisch berechtigte Ausgabe festzusetzen. Neuen Muth hat mir gegeben, daß wir neuerdings durch die Japanesischen Delegaten zum Worlds fair Religous Parliaments und durch Dr Carus Arbeiten wissenb, daß diese Unsterblichkeitsidee die Grundidee des Buddhismus ist. Dr Carus neuestes Buch „The Gospel of Buddha“ wird Ihnen von der Chicago office gesandt sein. Wir bereiten jetzt eine deutsche Ausgabe davon vor, und werde ich Ihnen sobald solche fertig ein Exemplar senden.
Die auf erster Seite erwähnte letzte Nummer des Open Court lege ich noch bei. Selbe enthält noch ein Gedicht aus Dr Carus Antwort die anzusehen bitte. Haben Sie je daran gedacht Amerika zu besuchen? Das würde uns Gelegenheit geben uns gegenseitig auszusprechen! und vielleicht weitere Kriegspläne als Verbündete zu entwerfen. Nochmaliger Dank für Ihre freundliche Sendung und Ihre freundlichen Briefe
In besonderer Hochachtung
Ihr
Edward Hegeler
Die letzte Nummer des Monist von Januar 1895, die in Ihren Händen sein wird, enthält in der Mitte von Seite 273 die Budhistische Unsterblichkeitsidee.c
1) so lautet die Uberschrift eines Artikels in der letzten Nummer des Open Court.
a gestr.: ist; b eingef.: wissen; c Text weiter am linken Seitenrand: Die letzte … Unsterblichkeitsidee.