Hetzer, Wilhelm

Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Hagen in Westfalen, 14. Februar 1904

PROF. W. HETZER.

HAGEN I. W., 14. Februar 1904.

Lieber Jugendgenosse!

Unter den zahllosen Glückwünschen, die Dir in den nächsten Tagen zugehen werden, ruht wohl kaum einer auf so altem Grunde, wie der, den ich Dir zu Deinem 70. Geburtstage aus aufrichtigem Herzen widme.

Willst Du aber wissen, warum ich mich immer wieder in Deinen Gesichtskreis dränge, so höre die „3 fache Wurzel vom zureichenden Grund“.

1. Von allen, mit denen mich Erinnerungen an die Jugendzeit verbanden, bist Du der einzige noch vorhandene; die andern sind alle schon dahin gegangen, wohin ja auch unser Lebensweg führen wird.

2. Mein Leben ist ganz erheblich ruhiger verlaufen als das Deinige und die Anzahl der Eindrücke, die sich zwischen sonst und jetzt geschoben haben, ist bei mir wesentlich kleiner.

3. Ich bin nun auch nächstens 70 jährig – wenn aber die Lebenssonne sich zu neigen anfängt und es dämmrig um uns zu || werden beginnt, dann leuchten die Jugendjahre ganz besonders hell auf.

Ich sehe uns in diesem Augenblicke auf Merkelshofe herumstelzen, Du auf ein Paar naturfarbigen, gewaltig hohen, die nur mit einem genialen Aufschwunge erklommen werden können, ich auf ein Paar grünen, erheblich niedrigeren, die mich nötigen, 3 Schritte zu machen, wo Du in majestätischer Erhabenheit nur einen zu machen brauchst, wie so eben durch genaue Messungen fest gestellt ist. Da kommt auch der alte Friedrich und Deine Mutter ruft warnend: „Erneken, Erneken!

Ich habe Dich in Gedanken immer verfolgt und verfolge Dich noch, magst Du in Insulinde wissenschaftliche Spaziergänge machen oder in Jena Welträtsel lösen – und habe mich stets herzlich Deiner Erfolge und Deines Ruhmes gefreut, auch da, wo ich mit Dir nicht eines Sinnes war.

Mir geht es, wie man zu sagen pflegt, gut; Sorgen drücken mich nicht, die Leiden des Alters haben mich noch immer gnädig verschont, ich erfreue mich angenehmer amtlicher Verhältnisse und eines glücklichen Familienlebens, habe 5 männliche und 5 weibliche Enkelkinder und trage mich mit dem Gedanken, bald das Schulscepter niederzulegen und mich in einem warmen Winkel am Rheine einzugraben, um Studien || über den Anbau von Kohl und Rüben zu machen – nicht wahr, ganz wie die Stelzen, ein bischen niedrig aber dafür hübsch grün angestrichen.

Und nun noch ein Wunsch, der freilich von Egoismus nicht ganz frei ist. Möchte es mir doch vergönnt sein, Dich nach einer weiteren Dekade von Jahren auch zu Deinem 80. Geburtstage beglückwünschen zu dürfen als

Dein alter Jugendfreund

W. Hetzer.

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.02.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21716
ID
21716