Hetzer, Wilhelm

Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Halle, 13. November 1854

Halle, am 13. November 1854.

Alter Freund!

Aus den Briefen von Weber und Weiß wirst Du wohl schon ersehen haben, welches Unglück mich betroffen hat, Du weißt gewiß auch schon, wie die Geschichte zugegangen ist, und es bleibt mir nur übrig, Dich von dem zu unterrichten, was Dich am meisten interessiren muß, und was Niemand weiß, als ich, nemlich von dem Verlauf, der Behandlung etc. meiner Wunde, den Symptomen pp. pp. Unmittelbar nachdem der Witz passirt war, ging ich, natürlich von nicht geringen Schmerzen geplagt, in Begleitung einiger Freunde, nach der chirurgischen Klinik von Peter Krukenberg, der mir nach einer genauen Untersuchung der Wunde, mit einem kleinen Instrumentchen den überschüssigen Phosphor von der verbrannten Haut herunterkratzte; das war wahrhaftig eine schauderhafte Operation, und wenn mich nicht 4 oder 5 Klinicisten gehalten hätten, so hätte ich gewiß den alten Peter vor Schmerz gehörig durchgeprügelt; nichts desto weniger muß ich doch dem alten Manne sein Recht anthun, denn er machte die Geschichte so meisterhaft, daß er von der, wie Du denken kannst, gänzlich verbrannten Epidermis auch nicht ein Fäserchen mit a abriß. Nachdem diese Operation und einige dazugehörige Ohnmachten glücklich überstanden waren, und nur wenige Stellen noch von darauf klebenden Phosphor rauchten, ließ ich mich von Professor Heintz begleitet nach Hause fahren, warf alle Kleider ab, und steckte meine Hand ganz in eine Schale voll Baumöl. Es war dieß verordnet worden, um den rothen amorphen Phosphor, der die ganze Wunde roth färbte, aufzulösen. Das Oelbad hat mir sehr gute Dienste geleistet; es milderte die furchtbaren Schmerzen und || machte die steife Haut etwas beweglicher. Doch hatte es einen andern Uebelstand. Weil nemlich die hauptsächlichsten Wunden auf der Oberfläche der linken Hand waren, mußte ich die Hand verkehrt in das Oel tauchen und diese unnatürliche Lage konnte ich immer nur kurze Zeit aushalten, dann schmerzten mich die Gelenke, ich bekam Krämpfe in den Arm und mußte dann ein Weilchen den Arm frei bewegen, was sehr weh that. Gegen Abend vertauschte ich das einfache Oelbad mit einem dünnen Liniment aus Leinoel und Kalkwasser, letzteres sollte die Säuren abstumpfen. Auch diese Schmiere mußte ich als Bad gebrauchen, denn wenn ich einen Umschlag davon vielleicht zwei Minuten auf der Hand hatte, so wurde er warm und die Schmerzen waren wieder da. An Schlaf war natürlich in dieser ersten Nacht nicht viel zu denken, ich fieberte etwas und der kleine Weiß, dem ich überhaupt ein großen Dank schuldig geworden bin, mußte bei mir wachen. Den nächsten (Sonntag) Morgen wurde ich von der alten Oelschweinerei, die mir nehmlich nichts weniger als angenehm war, erlöst, die Wunden, die ganz weiß aussahen, und nur an den Stellen, wo der Phosphor auch in’s Fleisch gebrannt hatte, die natürliche Farbe des rohen Fleisches zeigten, mit einem Schwämmchen gesäubert, in eine viereckige Schlinge gehängt und Umschläge von kaltem Wasser aufgelegt, die ich aller 5 Minuten wechseln mußte. Ich konnte dabei aufstehen, in der Stube herumlaufen und fühlte mich sehr wohl, da auch die Schmerzen sehr mäßig waren. In der darauf folgenden Nacht sollte ich nun wieder einen Umschlag des Linimentes auflegen, b ich c war aber kaum im Bett eingeschlafen, als mich auch schon die furchtbarsten Schmerzen weckten. Die ganze Hand schien ein Feuer zu sein, bei jedem Pulsschlage glaubte ich müßte sie zerspringen, dabei ein fortwährendes Stechen, so daß ich wirklich fürchtete, es möchte der Brand dazu gekommen sein; dabei konnte ich mich nicht rühren, denn die geringste Bewegung machte sich auch durch d ein sehr unangenehmes Pochen in der Hand bemerkbar. Bis gegen 3 Uhr Nachts hielt ich es aus; dann aber machte ich meinen Stubennachbar munter und ließ den Klinicisten (der mich in specieller Behandlung hat, und glücklicherweise mit mir in einem Hause wohnt) rufen. Der Arm wurde nun sofort aus der Schlinge genommen, e der Umschlag abgehoben und dafür wieder kaltes Wasser aufgelegt; die Wunden fingen an zu eitern. An Schlaf war natürlich wieder nicht zu denken, so daß ich mich ziemlich matt fühlte, und nach längern Stehen sofort Schwindel bekam. Endlich kam, zu meinem großen Vergnügen, der Morgen, ich durfte aufstehen und bekam || nun warme Umschläge aus Roggenmehl und Kamillen mit Wasser, die so oft als möglich gewechselt wurden. Du kannst Dir nun denken, daß ich nicht wenig müde war; zwei Nächte nicht geschlafen, dazu die Aufregung, die Schmerzen, die fortwährende Angst, daß die Sache einen schlimmen Ausgang nehmen könnte; nichts destoweniger konnte ich wieder kein Auge schließen, immer weckte mich das unerträglichste Stechen auf. So warf ich mich bis 12 Uhr Nachtsf auf dem Sopha herum, vom kleinen Weiß bewacht, bis mich endlich einer meiner Ärzte (ich hatte deren in der ersten Zeit nicht weniger als 4) durch eine Gabe Morphium in Schlaf brachte, so daß ich wie todt bis den nächsten Morgen um 7 Uhr lag, ohne von dem Wechseln der Umschläge das geringste zu empfinden. Dochg das Teufelszeug hatte mich zu sehr angegriffen, ich war den andern Tag wie betrunken, schlief den ganzen Nachmittag, schlief Abend um 6 nach dem Nachtessen wieder ein, und schlief bis den andern Tag früh um 9½ Uhr. Doch probatum est, ich war curirt, die Eiterung war nun ordentlich im Gange, die Schmerzen vorüber, und ich vor allen Dingen durch den langen Schlaf gehörig gestärkt. Die Umschläge wurden nun noch bis Donnerstag fortgesetzt, dann Charpie und Zinksalbe aufgelegt, die Hand verbunden, in eine Schlinge gelegt, und ich bin nun so weit hergestellt, daß ich Dir ein- und eigenhändig, mit Hülfe eines Briefbeschwerers und noch mehrere andrer Apparate, diesen Brief geschrieben habe. Ich verdanke meine schnelle Heilung nächst der Geschicklichkeit des alten Krukenberg, vorzüglich der ausgezeichneten eifrigen Behandlung des schon erwähnten Klinicisten, sein Name ist Frasch, Du kennst ihn ja von Würzburg her, nun soll ich Dir viele Grüße von ihm ausrichten. Das langweiligste und unangenehmste für mich ist jedenfalls das abscheuliche Stubensitzen. Es ist mir das Ausgehen zwar schon seit gestern erlaubt, indessen ist gerade nun ein solch niederträchtiges Wetter, daß man Gott danken muß, wenn man nur in seinen 4 Pfählen bleiben kann. Da sitze ich nun den h ganzen Tag auf dem Sopha und weiß mich vor langer Weile kaum zu retten; keine Lectüre behagt einem, Schreiben ist mir ziemlich unbequem, und wenn mich nicht meine wenigen Freunde, die aber leider auch durch Vorlesungen in Anspruch genommen sind, dann und wann ein Stündchen besuchten, so wäre ich schon längst umgekommen. Dazu kommt nun noch, daß ich gerade jetzt sehr viel zu thun habe; ich habe nemlich 2 quantitative Analysen für das Landes-Ökonomie-Collegium || übernommen, eine Ackererde, und Rübsamen. Bis Weihnachten hätte ich sie fertig machen können und die Bezahlung eingestrichen, da kommt die verwünschte Verbrennung und vor 3 Wochen werde ich wohl nicht wieder arbeiten können. Es ist wirklich zum Todt ärgern, die Analyse der Ackererde hatte ich schon über die Hälfte fertig, und ich sehe schon, i wenn ich wieder anfangen will, ist alles verdorben, so daß ich j gerade die schwierigste und langweiligste Arbeit noch einmal zu machen habe. Auch muß nun gerade in die Zeit meiner Krankheit der Anfang der physikalischen Abende bei Knoblauch (von denen Du gewiß informiert bist) fallen, an denen ich zunächst auch nicht Theil nehmen kann. Andre Vorlesungen habe ich bis jetzt auch anzunehmen vergessen, so daß ich mich wohl nächstens pigritiae caussa werde citiren lassen müssen. Du siehst, daß mich das verfluchte Stubensitzen zum Grillenfänger gemacht hat, weine eine Thräne des Mitleids um Deinen gefallenen Freund. Nur einen Vortheil hat mir mein Malheur gebracht, ich bin nemlich 8 Tage lang Stadgespräch von Merseburg und Halle gewesen. Daß man natürlich nicht ermangelt hat, die Geschichte gehörig auszuschmücken, kannst Du Dir wohl denken. So hat man sich hier in den höchsten Kreisen bei Pernice und Leo erzählt, sämmtliche Flechsen wären aus der Hand herausgeschnitten, die Hand wäre so dünn gebrannt, daß man gegen das Licht hindurchsehen könnte. In Merseburg haben mich schon 5 Mann während des Wundfiebers nicht halten können, der Phosphor, (der hier zu Schwefel geworden ist) liegt noch auf der Hand, brennt immer weiter um sich, und daß man mit der Amputation noch zögertk, geschieht nur aus Rücksicht auf meine Mutter. Die Intensität der Uebertreibung scheint aber wirklich mit dem l Cubus der Entfernung zu zunehmen, denn auf einem Dorfe in der Nähe von Freiburg a. U.m, wo ich ebenfalls bekannt bin, ist der Arm schon ganz abgezehrt und dünn, einige Knochen – weil sie der Brand ergriffen hat, heraus geschnitten (blühender Unsinn!!) und man fürchtet ernstlich für mein Leben. Wenn das so fortgeht, n dann bin ich in Berlin nur noch ein bloßes Streichhölzchen. o Dabei wird Herr Professor Heintz natürlich nicht geschont, (er hat mir den Phosphor über die Hand gegossen) während derselbe an dem ganzen Unglück fast ebenso unschuldig ist als ich. Doch mein Bogen ist voll, einen zweiten anzufangen hat mir Frasch untersagt, und muß ich mir ein weiteres zum nächstenmal versparen. Grüß Gott

Dein

W. Hetzer.

a gestr.: fort; b unkenntlich gemacht; c gestr.: hatte; d gestr.: den; e unleserlich gemacht; f eingef.: Nachts; g verbessert aus: das; h gestr.: hal; i gestr.: ehe; j gestr.: die; k korr. aus: gezögert; l gestr.: Grad; m eingef.: a. U.; n gestr.: so; o gestr.: Daß

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.11.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 21563
ID
21563