Hetzer, Wilhelm

Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Halle, 20.24. Juli 1852

Halle 20/7 52.

Lieber Freund!

Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus!

Ein uraltes Dictum, aber an Niemand wohl hat sich‘s so bewährt als an mir. Einen Brief wollte ich Dir schreiben, der Dir wenigstens 3 mal um dem Leib gehen sollte, und als a ich mich nun endlich hinsetze und will das Wunderwerk beginnen, da denke ich erst daran, daß Du ja, was ich Dir über unsere (meines und meines Stubenkollegen, des Weber aus China) Collegien, botanische Freuden und Leiden und über sonstige res schreiben könnte, daß Du dieß alles schon aus den Briefen von Weber oder Weiss weißt (eine sehr hübsche Wortstellung bitte ich zu bemerken). So muß ich mich nun mit demb wenigen begnügen, was mein privatu anbelangt, und deshalb fällt dieser erste Brief so ungeheuer mager aus, doch schließe daraus nicht etwa, daß meine Freundschaft für Dich nicht noch die alte sei, im Gegentheil, ich habe mich nie so sehr nach Dir gesehnt als jetzt – Ach Gott, das sind ja abgedroschne Sachen, Herr, keine Melancholicac

Also von meinen Privatstudien wollte ich Dir schreiben. In der Botanik habe ich große Fortschritte gemacht (Hört! Hört!), doch da Dir Weber hierüber das Specielle schreiben will, so werde ich füglich schweigen. Nächst der Botanik beschäftigt mich ausschließlich Physik und Chemie. Erstere treibe ich mit Hülfe des Pouillet-Müllerschen Lehrbuchs, von dem ich mir die 4. jetzt erscheinende Auflage anschaffe. Die bis jetzt erschienenen Lieferungen habe ich, vorzüglich die erste durch geochst. Keinen Abschnitt habe ich weggelassen, nicht einmal das langweilige Kapitel über Höhenmessungen mit dem Barometer. Ganz unmenschlich hat es mich gefreut, daß auch Du jetzt Dich mit Chemie beschaftigst, und wacker experimentirst, und d aus reine Freude, bei meine jroße Liebe zu Dich bin ich eben im Begriff, Dich die jroße Reagenzientabelle von Weiss, (Du erinnerst Dir wohl noch an sie) abzuschreiben und || Dich damit ein Jeburtstagsgeschenk zu machen.e Ich würde sie Dich schon jetzt mitschicken, indessen aber is sie noch nich fertig. Du mußt nämlich wissen, daß ich den größten Theil der Versuche selbst wiederholt habe (natürlich mußten die mit Arsenik- Nickel-Reaction- etc Verbindungen wegbleiben), und auch noch einige neue f hinzugefügt, z. B. mit Kobaltoxydilsalzen und chromsauren Kali. g

Die Tabelle erhältst Du also ziemlich zuverlässig entweder mit der nächsten Pflanzensendung, oder ich werde sie Dir höchst-eigenhändig übergeben können wenn Du im August unsere nordteutsche Sumpf- und Wiesen Stadt Halle besuchst (vorausgesetzt nämlich daß Du sie überhaupt annimmst).

Außer diesen Reagenzversuchen habe ich mich auch etwas im Analysiren geübt. So habe ich das Kaliumeisencyanis h und einige ähnlich zusammengesetzten Stoffe zerlegt, Wasser auf Schwefelsäure, i Chlormetalle etc. geprüft. Eine zusammenhängende Analyse unseres Brunnenwassers j habe ich im Sinne nächstens anzustellen, wenn mein Beutel erst wieder etwas von seiner Auszehrung geheilt ist. Die Resultate will ich Dir aufschreiben und mittheilen. Willst Du Dein Berliner Wasser vielleicht einmal prüfen, d.h. willst Du wissen, ob es chemisch rein, frei von schwefelsauren Salzen, Chlormetallen, organischen Stoffen ist, so geht dieß sehr einfach mittelst zweier Reagenzien. Wenn Du zu einer Probe k Wasser einige Tropfen Ag.O, NO5 Lösung, und es entsteht eine Trübung, so sind Chlormetalle (Chlornatrium, Chlorkalium pp) vorhanden. Setzest Du zu einer andern Probe Tropfen einer Bar.Cl. Lösung, und es entsteht Trübung, so enthält das Wasser schwefelsaure Salze oder auch wohl freie Schwefelsäure. Organische Stoffe erkennt man, wenn man Wasser bis zum Trocknen verdampft, und den Rückstand glüht. Sie verrathen sich dann durch eine Bräunung. Die feinern Bestandtheile des Wassers, Jod, Eisen, Blei, Kieselsäure pp. lassen sich || so direct nicht entdecken und man muß Umwege einschlagen. Sollte Dich dieser l Gegenstand interessiren, so werde ich Dir ein andermal mehr und genaueresm darüber schreiben.

Du wirst denken, daß ich bei diesem vielen Experimentiren gewiß ein recht fideles Leben geführt habe, aber Du irst sehr. Ich kann Dir versichern, daß mirn keino Versuch eine wahre, innige Freude gemacht hat. Fehlte mir noch doch jemand, dem ich ihn hätte mittheilen können, und der sich mit mir dann gefreut hätte. Tausendmal habe ich Dich oder den kleinen Weiß, oder am liebsten beide zusammen hergewünscht, um mich nur einmal aussprechen zu können. Wir Chemiker sind hier nämlich gar nicht vertreten. Die Zuhörer in den chemischen Collegien bestehen nur aus Medicinern (die bei uns ziemlich stolz sind) und höchstens noch aus ein Paar verschnörpelten Philologen. Die Ersteren halten es unter ihrer Würde, sich mit solchen chemischen Quacksalbern und Stänkerreien zu beschäftigen und letztere treiben die ganze Geschichte nur joci causae.

etc.etc.etc.etc.

Alles Specielle, und was ich sonst noch auf dem Herzen habe, verschiebe ich auf einen von Deiner Seite vielleicht zu ermöglichenden Besuche. Es grüßt, auf einige Zeilen von Deiner lieben Hand sehnsuchtsvoll harrend

Dein

W. Hetzer.

Mitglied der naturforschenden

Gesellschaft und der Chemischen Gesellschaft.

anitzo stud. philosophiae (?)

P. S. I

In beiliegenden Papierchen befindet sich ein Minimum Jodquecksilber, durch Jodkalium aus HgO, NO5 gefällt.

P. S. II

Als Rarität lege ich eine Probe von Retinit bei, ein Harz, welches in den hallischen Braunkohlen vorkommt und den eigenthümlichen hallischen Geruch beim Verbrennen verursacht und da kannst Dir also die Nase vollräuchern. Ich habe es von Dr. Steinberg. Es ist freilich sehr wenig, aber in Stückchen findet man es eh selten, sondern meist nur als ganz feinen Staub.||

P. S. III

In dem Publikum bei Schlechtendal über Gräser habe ich soeben Eragrostii pilos. P. B. und Eragr. poaeoides P. B. erhalten. Ich lege sie der Pflanzensendung bei.

W. H.

P. S. IV

Auch ein Paar Exemplare von Bromus erectus, den ich in demselben Colleg bekommen habe, lege ich bei. Er soll am Vogelsberg stehen.

W. H.

P. S. V

Halle 24/7 52

So eben hat mir Professor Steinberg noch einige Reagenzien zur allgemeinen Prüfung des Wassers mitgetheilt. Den häufig vorkommenden kohlensauren Kalk entdeckt man, durch tropfenweisen Zusatz einer Seifenauflösung (spirit. saponatus der Apotheken) zu einer Portion Wasser, er verräth sich durch einen flockigen Niederschlag von fettsauren Kalk. CaO, SO3, der ebenfalls sehr häufig im Wasser aufgelöst ist, entdeckt man, indem man das Wasser mit einerp q Lösung von KO, CO2 sieden läßt, der Vorgang ist folgender:

CaO, SO3

KO, CO2

KO, SO3 bleibt gelöstCaO, CO2 setzt sich ab

W. H.

a gestr.: auch; b gestr.: sehr; eingef.: dem; c korr. aus: xxx; d gestr.: bei; e grammatikalische Fehler wohl ironisch gemeint; f gestr.: hinzu f; g gestr.: Du erhältst; h gestr.: zerlegt; i gestr.: xxx; j gestr.: werde; k gestr.: fr; l gestr.: Xxx; m eingef.: und genaueres; n gestr.: ich mich über; eingef.: mir; o korr. aus: keinen; p korr. aus: einxx; q gestr.: xxx

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.07.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 21556
ID
21556