Friedrich Rolle an Ernst Haeckel, Homburg vor der Höhe, 20. November 1868

Homburg vor der Hoehe

d. 20 Nov. 1868

Geehrtester Herr Professor!

Vor kurzem erhielt ich die gütige Zusendung Ihres neusten Werkes über natürliche Schöpfungsgeschichte – als ich gerade Ihr vorletztes Werk über den Stammbaum des Menschengeschlechtes durchstudirte. Ich sage Ihnen meinen herzlichen Dank u. hoffe günstigen Falles noch guten Gebrauch von den Resultaten Ihrer gründlichen u. im besten Sinne des Wortes radicalen Forschungen im Descendenz-Gebiete zu machen. Ob ich noch viel dazu kommen werde, ist eine andere Frage; ich sitze jetzt ziehmlich auf, habe mit unseren Mineralquellengeschichten zu thun, auf Grund des Auftrags unsrer früheren ldgr. Hessischen Regierung – und zum Trotz zweier schier allmächtigen Badeärzte, denen meine wissenschaftliche Bericht-Erstattung an die Regierung ein unleidlicher Dorn im Auge ist. Es gehört || auch in das Capitel vom Kampf ums Dasein u. seinen seltsamen Verwicklungen ad. Ex. daß ein Individuum bei anderen scheinbar dem gleichen Interesse zugewiesenen Individuen keine Unterstützung sondern Gleichgültigkeit, Neid und Hindernisse antrifft.

Wenn also auch meine meisten Arbeiten der letzten Jahre ad acta gerathen sind, so kann ich Ihnen doch eine Anzahl früherer paläontologischer Arbeiten übersenden, von denen Sie einzelnes vielleicht interessirt. In meiner Arbeit über Cyclidia treffen Sie vielleicht einiges Neue. Ich finde daß alle Cephalopodenkiefern subsymmetrisch sind. Die Handbücher nennen sie symmetrisch, die Abbildungen geben ihnen meist eine Symmetrie, die sie nicht besitzen. Ich habe auch Kiefern von Triester Dibranchiaten untersucht u. sie merklich subsymmetrisch gefunden. Die weitere Fortsetzung dieser Arbeit blieb zufolge meines Austritts aus dem Wiener Hofmineraliencabinet || unbenutzt liegen. Ich halte die Cyclidien für eine erloschene Abzweigung der Tetrabranchiaten, sei es einer schalenlosena Gruppe oder eines subgenus von Nautilus (vielleicht der Nautilen mit tiefbuchtigen Loben).

In Ihren beiden Werken fand ich vieles, was mich lebhaft erfreute und den Beleg dafür gab wie das was als Wahrheit anerkannt zu werden berechtigt ist, allmählig mehr u. mehr durchbricht u. sich die Anerkennung, wenn auch nicht der Mehrzahl doch des Mehrgewichts der Stimmen gewinnt. In einigen Einzelheiten hätte ich anders geurtheilt, vielleicht weil mir Ihre besonderen Motive unbekannt waren.

Die Chitonen hatte ich nach ihrem sehr frühen geologischen Auftreten, ihrer Rückensegmentierung und ihrer (wenn ich nicht irre von Loven schon für ganz abweichend befundenen Entwicklungsgeschichte) für einen sehr eigenen uralten Zweig der Mollusken gehalten, dessen Rückensegmentierung auf eine besondere den Articulaten nahestehende Wurzel deuten würde.

Sven Loven in Annals and magazine of natural history 2e Serie, London 1856 p. 413. (übersetzt in Journal de conchyliologie VI. 2e serie. Paris 1857. p. 144.)

Es ist freilich damit wie mit dem Limulus-artigen || Habitus einiger gepanzerter Ganoiden und der crustaceenähnlichen Gliederung der Flossen u. Halseinlenkung anderer gepanzerter Ganoiden. Es können nachträglich eingetretene Analogien mit anderen Stämmen sein, die auf falsche Fährte leiten würden wenn man sie einseitig auf Affinität und gemeinsame Descendenz deuten wollte.

Bei Ihrer Gliederung der Menschenrassen fiel mir auf daß Sie die büschelig-wollhaarigen Papuas u. Hottentotten zwar von den Afronegern sonderten, aber nicht als besondere Schicht (Cladotriches oder Lophiotriches?) anerkannten. Ueber die Haltbarkeit des Characters von büschelig gestelltem Wollhaar habe ich freilich keine neueren Notizen. Wenn dieser Character haltbar ist, so käme es sehr darauf an, wie das Haar des Hauptes der Anthropoiden geartet ist, auch ob das Haar der fraglichen Abtheilungen in Bezug auf runden oder elliptischen Character des Haar-Querschnittes etwas Haltbares und Durchgreifendes ergibt.

Indem ich hoffe, daß unter meinen älteren Schriften etwas ist, was Ihnen Interesse bietet Geehrtester Herr Professor

Ihr hochachtungsvoller

Dr. F. Rolle

a korr. aus: schalengro

Brief Metadaten

ID
20368
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
20.11.1868
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,6 x 20,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 20368
Zitiervorlage
Rolle, Friedrich an Haeckel, Ernst; Homburg vor der Höhe; 20.11.1868; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_20368