Gustav Herold an Ernst Haeckel, Frankfurt am Main, 12. November 1893

Frankfurt a/M d. 12. November 93

Geehrter Herr Professor!

Vielen Dank für die Zusendung der beiden Schriftstücke, welche mich heute, als ich das Gedicht „Der Weinbesteu’rer v. Hermann Lingg“ in der Frankfurter Zeitung las, zu folgenden Strophen veranlaßt haben:

Der Judas der Wissenschaft.

frei nach Hermann Lingg.

Noch ist sie nicht, die Geistesknechtung

Noch darf man reden frei und frank

Sprecht, was gebührt ihm für die Aechtung

der Wissenschaften, welch’ ein Dank?

Der sie ersann, der Mann von Stroh,

Nie wird’ er seines Lebens froh!

Kein Scherz komm’ über seine Lippe,

kein Lächeln wieder Jahr für Jahr, ||

Er mög’ mit seiner ganzen Sippe

fortan versimpeln ganz und gar.

Ihm näsle stets der schwarze Chor

statt frohen Sangs ein Klaglied vor.

Erdrücken soll ihn selbst das Amt!

Ihn freue nie mehr Blumenduft,

Nichts was dem hohen Geist erstammt!

Man setz’ ihn üb’rall an die Luft!

Kein wack’rer Zecher trink ihm zu,

Kein Freund mach’ mit ihm Du und Du!

Kein glücklicher Gedanke tauche

Aus seiner schwarzen Seele mehr,

Der Frosch mit dickem Pfützenbauche

Und Kröten seien sein Verkehr!

Wo Reben blüh’n am grünen Hang

da wird’ es ihm nur angst und bang!

Sein Weggeleite seien Raben!

Und nie, du trauriger Kumpan,

Soll dich die Milch der Greise laben!

Beschließ’ einst im Verfolgungswahn ||

Den Lebenslauf am Bettelstab,

Dann stoß’ ein Geisbock dich in’s Grab!

Um nicht mit leeren Händen zu erscheinen, hätte ich gern mit folgend 2 Photographien nach meinen letzten Arbeiten, eine Nymphe in einer Muschel und einen Genius des Todes, dessen Marmorausführung das Grab, des in Tÿrol durch Abstürzen ums Leben gekommenen Herrn Dr Mainzer vor Vergessenheit schützen soll, gesandta. Leider ließ mich der Photograph sitzen und ich werde dieselben Ihnen dieser Tage zusenden.

Wann werde ich endlich das Bild des unentwegten Forschers nochmals modelliren können?

Mit wahrer Verehrung

Gustav Herold

Bildhauer

a eingef.: gesandt

Brief Metadaten

ID
19882
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
12.11.1893
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
13,9 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 19882
Zitiervorlage
Herold, Gustav an Haeckel, Ernst; Frankfurt am Main; 12.11.1893; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_19882