Hermann Grosset an Ernst Haeckel, Chemnitz, 10. August [1900]

Hochgeehrter Herr Professor

Anbei erlaube ich mir, Ihnen einen kleine Schrift zuzusenden, welche über die Menschenraßen handelt; dazu möchte ich noch einige Begleitworte fügen. Auf die anthropologischen Details bin ich nicht näher eingegangen, teils, weila mir die nötigen Einzelkenntnisse fehlen, teilsb, weil für das Verständnis der Psyche der Völker gleichgiltig ist, ob wir nur eine arische und eine mongolische Urraße anzunehmen haben, oder mehrere mongoloïde und arioïde Urraßen. – Ich habe die Absicht, nicht nur dem gelehrten Forscher neue Hypothesen zur Diskussion vorzulegen, sondern will auch ein Büchlein verfaßt haben, das in’s Volk dringen und eine Agitation und Aktion hervorrufen kann. Daher habe ich alles auf engstem Raum zusammengedrängt, um nur ja nicht quantitativ zu viel zu bieten. – Mit Ihnen speziell möchte ich noch ein Thema besprechen, das coram publico nicht mit ganzer Offenheit behandelt werden kann. Es handelt sich um – Jesus von Nazareth. Ich stehe in meiner Schrift natürlich durchaus auf kirchlichem und christlichem Standpunkt; ein solcher wird aber von vielen Gelehrten nicht geteilt und da möchte ich denn einige Erklärungen abgeben, die dem Gelehrten ermöglichen, meiner Hypothese beizupflichten, ohne an || übernatürliche Wunder zu glauben. – Ich muß nemlich annehmen, daß Jesus von arischem Aussehen war und die Bedeutung der arischen Raße voll erkannt hatte. Vom kirchlichen Standpunkt läßt sich ja nichts dagegen sagen, denn da Jesus göttlichen Ursprungs war, so konnte er ja die Körperlichkeit annehmen, die ihm die geeignete erschien; er wählte also die edelste – die arische. Vom Standpunkt des nichtchristlichen Forschers wäre aber das arische Äußere Christi gleichfalls durchaus möglich. Setzen wir den Fall, daß ein Germane als römischer Beamter oder Soldat auf einige Zeit nach Palästina gekommen sei und mit Maria ein Verhältnis gehabt habe, dessen Frucht Jesus war, so ist ja leicht möglich, daß dieser äußerlich wie ein blonder Arier aussah. Durch die Mischung arischen und semitischen Bluts erklärt sich die psychische Abnormität Jesu; er war Schwärmer, ruheloser Idealist, tiefer Denker etc etc. Als junger Mann warf er Hobel und Säge beiseite und zog in die Welt um zu lernen und zu studiren. Er wurde mit der Litteratur der Griechen bekannt, mit der Philosophie der Inder, mit der Weltgeschichte etc. Auf seinen Reisenc traf er auch diverse Arier und gewann die Ueberzeugung von der Superiorität ihrer Raße, besonders seit er durch irgendwen in das Geheimniß der Odyssee eingeweiht worden war. – Durch seine Ueberreiztheit getrieben, beschloß Jesus allmählich, der Welt Heiland zu werden und sowohld die Prophezeiung des alten Testaments der Juden, als auch die der Odyssee zu erfüllen; er wollte zugleich als Messias der Juden und als neuer Odysseus auftreten. – So begann er mit 30 Jahren seine Wirksamkeit und ging dem Kreuzestod entgegen. – – Von der Bedeutung der arischen Raße war Jesus überzeugt und sah voraus, daß eine Entwicke-||lung der Menschheit im Sinn dere Humanität nur von ihr ausgehen konnte und daß sie dief herrschende und führende Raße der Zukunft werden würde, wie sie es schon in alter Zeit zum Theil gewesen war. Er fand es aber nicht thunlich, öffentlich von ihr zu predigen und teilte seine Ideen nur einem kleinen Kreise von Auserwählten mit. Aus diesem Kreise ist dann die sogenannte Apokalypse St. Johannis hervorgegangen, welche mit Absicht das, was sie zu sagen hat, in dunklen Bildern und Redewendungen verhüllt.

Da Jesus aber einsah, daß trotz aller arischen Raße doch immerhin die Erde ein Thal des Jammers und der Thränen bleiben würde, so wies er auf den Himmel hin, als auf den Ort der Seligkeit und Vollkommenheit. Ebenso werden in der Apokalypse Vorstellungen von irdischer und himmlischer Zukunft vereint. – – –

In meiner Schrift nehme ich an, daß Jesus vom „Vater“ die Gestalt erhielt, welche Gott für die geeignete hieltg. So kann mir die Theologie wohl nicht widersprechen und ich vermeide den Konflikt mit den religiösen Ueberzeugungen des Volks und der Geistlichkeit. –

Sollte meine Schrift so weit Ihre Anerkennung finden, daß Sie ihr nicht absichtlich schaden wollen, so bitte ich dringend, Sie möchten nicht verlautbaren, daß ich überhaupt an eine Erklärung der Verhältnisse Jesu vom materialistischen Standpunkt gedacht habe. Es könnte die Geistlichkeit stutzig machen und sie würde meiner Schrift feindlich entgegentreten und ihre Wirksamkeit lahmlegen. – Finden Sie aber, daß meine Hypothese Recht hat, so mögenh Sie über Jesu Person sich den Fachgenossen gegenüber aussprechen, aber ohne zu sagen, daß ich schon an eine natürliche Erklärung der Eigenart Christi gedacht habe, sondern Sie mögen nur von sich aus sprechen. – Noli tangere circulos meos!! ||

Mit hochachtungsvollem Gruß schließe ich und hoffe auf eine gelegentliche kritisirende Aeußerung von Ihnen

Hermann Grosset

Libau (Kurland), Lilienfeldstraße, No 10.

den 10. August

Chemnitz

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Brief Metadaten

ID
187
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
10.08.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 187
Zitiervorlage
Grosset, Hermann an Haeckel, Ernst; Chemnitz; 10.08.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_187