Focke, Wilhelm Olbers

Wilhelm Olbers Focke an Ernst Haeckel, Bremen, 19. Dezember 1890

Stein, Kreuz 2a, Bremen,

19 Dezb. 1890.

Mein lieber alter Freund!

Herzlichen Dank für Deina eingehendes Schreiben vom 27. v. M.! Es war meiner Frau und mir sehr angenehm, das günstige Urteil, welches uns von anderer Seite über Frau Dr. Schnetger zugegangen war, von Dir bestätigt zu hören. Uebrigens hatte meine Frau, die sich nach einer baldigen Ordnung der Angelegenheit sehnte, sich schon vor Empfang Deines Briefes an Frau Dr. Schnetger gewendet, nachdem wir von früheren Pensionärinnen die vorzüglichste Auskunft erhalten hatten. Die Sache ist jetzt fest verabredet. Ich bedaure dabei nur, daß Deine Tochter voraussichtlich Jena verlassen wird, wenn die meinige dort einzieht; ich hätte gern gesehen, wenn die jungen Mädchen || Gelegenheit gehabt hätten, sich zu befreunden.

In meiner früheren Wohnung hatte ich reichlich Platz, während es mir jetzt recht schwer werden würde, für einen langdauernden Besuch ein Unterkommen in meiner Wohnung zu beschaffen. Ich würde daher schon aus diesem Grunde gegenwärtig auf jeden Gedanken an einen Töchteraustausch verzichten müssen. Dagegen würde ich mich sehr freuen, wenn wir Deine Tochter einmal für kürzere Zeit, d. h. für einige Wochen, bei uns sehen könnten.

Bei meinem Besuche in Jena hatte ich den Eindruck gewonnen, daß die Gesundheit Deiner lieben Frau leider viel zu wünschen ließ. Zu meinem lebhaften Bedauern ersehe ich aus Deinen Zeilen, daß ihr Befinden sich seitdem nicht gebessert hat. ||

Es freut mich, daß die Holländer Dich so nett aufgenommen haben; wenn Du Deine dortigen Freunde einmal wieder besuchst, könntest Du leicht b einen Umweg über Bremen machen. Kürzlich habe ich Allmers einmal begrüßt, der gekommen war, um Fitger’s neue Wohnung – von einem reichen Gönner zur Verfügung gestellt – einweihen zu helfen. Allmers hat zwar noch einen guten Teil der früheren Frische behalten, aber er scheint mir doch in seiner Osterstader Einsiedelei etwas zu verkümmern. Wenn er hierher kommt, pflegt er bei seinem Freunde Dr. Romberg zu wohnen, den ich häufig für eine Viertelstunde auf der Bahn treffe und der mir dann immer allerlei Originelles von Allmers zu erzählen weiß. ||

Wenn die Dinge gehen, wie man im voraus hofft und annimmt, so werde ich zu anfang April meine Tochter in Jena abliefern und hoffe ich Dich dann begrüßen zu können, falls Du nicht etwa wieder eine Frühlingsreise unternimmst.

Heute feiert ein Onkel von mir seinen achtzigsten Geburtstag. Vier seiner Töchter leben hier, vier auswärts verheiratete sind aus verschiedenen Gegenden Deutschlands herbeigeeilt, und das Schiff, welches den einzigen Sohn aus Amerika herbeibringt, wurde heute Mittag auf der Weser erwartet. Das ist doch Familienglück.

Und nun will ich mit den compliments of the season – verzeih, ich habe gerade zwei englische Briefe geschrieben – schließen und Dir ein fröhliches Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr wünschen.

In alter Freundschaft

Dein W. O. Focke.

a korr. aus: Deine; b gestr.: einen

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
19.12.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1864
ID
1864