Julius Schaxel an Ernst Haeckel, Davos, 16. September 1916

GRAND HOTEL CURHAUS DAVOS

DAVOS, DEN 16ten Sept. 1916.

Sehr verehrter Herr Geheimrat,

Herzlichen Dank für Ihren ausführlichen und bedeutungsvollen Brief. Ich erhielt ihn etwas verspätet erst hieher. In Flims ging die Saison zu Ende. Wir fuhren mit der Albula-Bahn nach St. Moritz, waren dort einige Tage und haben schließlich hier einen kranken Freund besucht. Obschon das Wetter in der letzten Zeit meist ungünstig war, haben wir doch einige recht schöne Eindrücke empfangen. Morgen || reisen wir nach Luzern (Adr: Carlton Hotel Tivoli), wo wir einige Wochen zu bleiben gedenken.

–––––

Den von Ihnen zitirten Artikel in der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift kenne ich noch nicht, kann mir aber aus Ihren Angaben von seinem Inhalt eine ungefähre Vorstellung machen. Mir scheint, daß dem Verfasser einige „Mißverständnisse“ passirt sind, über die er sich aus einema eben erschienenen Artikel von mir (ich sende ihn Ihnen gleichzeitig) Klarheit verschaffen kann.

Ihre Ausführungen bestärken mich in der Absicht meine || Anschauungen über die Beziehungen von Mechanik und Historie eingehender darzulegen. Schon in meiner Jenaer Probevorlesung (1912) habe ich über Leben als Geschichte und Gesetz gesprochen. In einem für diesen Winter angekündigten Colleg werde ich vor Hörern aller Fakultäten die neuesten Angriffe auf die Entwicklungslehre behandeln. Vielleicht läßt sich das zu einer Publikation ausarbeiten. Ich habe bisher über dergl. nichts Größeres veröffentlicht, weil ich der Meinung bin, daß das Urteil über diese „letzten Fragen“ mehr || den älteren Denkern als den jüngeren Forschern zusteht, die sich um die Ermittelung von Tatsachen kümmern müssen. Ich neige ja nach der Behauptung der Fachgenossen (auch der, die gegenwärtig sich um die Besetzung von Stellen kümmern!) schon sowie so allzu sehr zum „Philosophieren“.

–––––

Ich hoffe Sie und die Kritiker schon noch davon zu überzeugen, daß sich mein Theoretisiren durchaus in der Richtung der von Ihnen historisch begründeten mechanistischen Biologie bewegt, wenn auch zuweilen die aktuellen Einzelfragen || die Grundtendenz nicht so deutlich erkennen lassen. Dem sorgfältigen Leser kann meine Auffassung der Organismen als historische Wesen (biogenetisches Grundgesetz!) nicht verborgen bleiben.

Mit großem Interesse sehe ich für den Winter den Gesprächen mit Ihnen und Ihrer Kritik entgegen.

Einstweilen grüße ich Sie zugleich mi Namen meiner Frau

als Ihr treuer Schüler

Julius Schaxel.

a eingef.: einem

Brief Metadaten

ID
18421
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
16.09.1916
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
4
Format
12,8 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 18421
Zitiervorlage
Schaxel, Julius an Haeckel, Ernst; Davos; 16.09.1916; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_18421