München, am 24ten Januar 1909.
Hochverehrter Herr Geheimrat!
Gestatten Sie mir, daß ich mich wieder einmal nach ihrem Befinden erkundige. Ich habe wohl recht mit der Annahme, daß die Kniegelenkentzündung längst gründlich geheilt ist.
Mit Erstaunen lese ich immer wieder neue Debatten in den Zeitungen über die vom Keplerbunde „angeregte“ Embryonenbildergeschichte. Selbst aus Chicago sendet mir meine Schwester den beiliegenden Zeitungsausschnitt. Mir ist es unbegreiflich, wie die mehr läppische als boshafte Anrempelung des Brass überhaupt Ernst || genommen werden konnte. Man müßte darauf aufmerksam machen, daß bei solcher Betrachtungsweise noch viel mehr als embryologische die cytologischen Bilder als „Fälschungen“ zu betrachten sind; denn diese sind doch ausnahmslosa überhaupt keine Abbilder sondern Deutungen von Präparaten, die von der ursprünglichen Natur durch die Metamorphosen einer komplizirten Technik entfernt sind! Man denke nur an die Themata: Plasmastrukturen, Chromosomen, Chromidien u.s.w.! Mir scheint es beschämend, daß keiner der Fachleute, auf die man hört, den Mut besitzt diese Tatsache offen zur || Sprache zu bringen.
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Ich komme hier mit meinen Arbeiten nicht so b vorwärts, wie es mir nötig erscheint. Die Testa-Zellen-Arbeit, die mich Hertwig machen läßt, sollte seiner Chromidien-Theorie eine Stütze bieten, führt aber nicht zu den (theoretisch) erwünschten Ergebnissen, wenngleich sie nicht ohne Resultate ist.
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Nächstens will ich auch mein Militärverhältnis, das immer wie ein drohendes Gespenst über meinen Zukunftsplänen schwebt, in Ordnung bringen. Mit Hinweis auf die Tatsache, daß meine Studien im Lauf der nächsten Jahre wieder||-holten und längeren Aufenthalt im Ausland erfordern, kann ich einen Entscheid verlangen, wenn ich ein meine Angabe bestätigendes Zeugnis c meines Chefs beibringe. Da ich als meinen Chef wohl Sie betrachten darf, so werde ich mir erlauben Ihnen im Lauf der nächsten Wochen ein solches Zeugnis vorzulegend, das Sie, wenn Sie es billigen, unterzeichnen mögen.
Wie immer mit den ergebensten Grüßen
Ihr Schüler
Jul. Schaxel.
a eingef.: ausnahmslos; b gestr.: fo; c gestr.: beibringe; d korr. aus: vorlegen