München, am 18ten Dezember 1908.
Zoologisches Institut.
Hochverehrter Herr Geheimrat!
Aus Jena erhalte ich die Nachricht, daß Ihnen ein Unfall zugestoßen ist, an dessen Folgen Sie noch leiden. Ich bin darüber so erschreckt, daß ich nicht unterlassen kann Ihnen meine herzlichsten Wünsche zur baldigen Genesung zu senden. Ich wäre nicht beunruhigt, wenn ich nicht wüßte, daß der Winter schon an sich auf Ihre Stimmung drückt (– verzeihen Sie diese Beobachtung). Allerdings bin ich überzeugt, daß Ihre wunderbare Natur die vorübergehende || Depression überwindet; denn von dem vielen, was ich bei Ihnen erfahren durfte, ist eine meiner schönsten Erinnerungen, die Ihrer strahlenden Heiterkeit.
Darf ich Ihre Geduld noch mit dem Bericht meines weiteren Ergehens in Anspruch nehmen, so möchte ich Folgendes mitteilen:
Von den Schwierigkeiten, die sich meinen Echinodermen-Untersuchungen entgegenstellten, sprach ich im letzten Brief schon (8ten Nov.). Leider ist es mir bis jetzt trotz Anwendung der mannigfachsten Methoden noch nicht gelungen in den feineren Bau der eigenartigen Gewebe so einzudringen, daß dadurch ihre Kenntnis mehr, wie sie seit 20 Jahren (Hamann, Ludwig) besteht, || a gefördert würde. Regelmäßig treten bei den unumgänglichen Entkalkungen, äußerst störende Alterationen der Gewebe auf. Ich äußerte daher gleichzeitig mit Prof. Hertwig die Befürchtung meine Arbeit bis zum Termin des Examens bei diesen fortgesetzten Hindernissen nicht zu Ende zu bringen. Ich habe daher noch einen Versuch (über die Natur der sog. „Testa-Zellen“ im Ascidien-Ei) begonnen, der einen rascheren Erfolg verspricht. Hoffentlich werde ich damit promoviren können, wenn ich wieder in Jena bin.
Werden Sie mich (wie wir || früher annahmen) noch weihen oder komme ich dazu schon zu spät? – ich bin etwas bang in der Ungewißheit.
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Gesundheitlich und der Gesellschaft nach geht es mir hier weiter ziemlich gut. Doch freue ich mich sehr auf die Rückkehr nach Jena, vorallem deshalb, weil ich Sie in einigen für mein Leben sehr bedeutsamen Entschlüssen um Ihren Rat bitten möchte, den Sie nicht verweigern werden Ihrem
treuen und dankbaren Schüler
Jul. Schaxel.
a gestr.: wesentlich