Julius Schaxel an Ernst Haeckel, Augsburg, 9. April 1906

Augsburg am 9. April 1906.

Hochverehrter Herr Professor!

Vorallem möchte ich Ihnen herzlichst danken für die freundliche Antwort, die Sie meiner Anfrage haben zuteil werden lassen. Ich tue das um so mehr und schätze Ihre Freundlichkeit darum besonders hoch, weil mir jede Gelegenheit fehlt mich mündlich mit jemand über meinen Studiengang auseinanderzusetzen; denn, daß ich mir bei meinen Gymnasiallehrern keinen Rat einholen kann, werden Sie nicht bezweifeln, wenn Sie an das bayrische klerikale Schulregiment denken, das dem Wahrheitsstreben des jungen Menschen damit entgegentritt, daß es ihn zwingt sich stundenplanmäßig pfäffischer Verdummungssucht auszusetzen! || Obwohl Sie mich persönlich nicht kennen, haben Sie mir durch die Aussicht auf ein Studium, dem ich mich mit glühendem Eifer hingeben kann, doch einigen Trost gewährt in der Nacht gewaltsamer Unterdrückung des Erkenntnissuchens, über die ich mich so gut und schlecht es eben geht durch reiche Privatlektüre bis zum Ende der Gymnasialzeit hinweghelfe, die zwar einen Freudigen verbittern, sicherlich aber einen einigermaßen Intelligenten nicht erziehen kann.

Entschuldigen Sie, wenn ich das schreibe – aber ich hoffe ein Mann, den ich so sehr verehre, wird auch das jugendliche Ungestüm nicht Übel nehmen … und bei den gegebenen Schulverhältnissen vielleicht sogar verstehen.

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Für die kurze Andeutung eines Hochschulstudienplans danke ich Ihnen besonders. Nur kann || ich nicht über die Wahl der Universitätsstadt nicht recht ins Reine kommen. Ich habe verschiedene Vorlesungsverzeichnisse durchgesehen, aber ich kann nirgends so recht das finden, was ich suche – eben die vergleichend physiologische und genetische Psychologie. Auch kann ich natürlich trotz einiger Literaturkenntnis nicht aus den Namena der Dozenten sehen, ob sie die Einleitung zu meinem Studium, die vergleichende Anatomie und Physiologie und Entwicklungslehre in für die Psychologie positiver Weise lehren, wie ja auch der Physiologe Wundt in der Psychologie unbegreiflicherweise doch Metaphysiker ist – wenigstens so weit ich ihn kenne.

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Imübrigen werde ich mich vorerst an die Lektüre der Schrift Krölls machen, die mir bisher entgangen ist. Auch werde ich mir auf Ihren Rat hin die Freiheit nehmen mich in direkter Anfrage an den Herrn || Sanitätsrat zu wenden.

Noch einmal meinen

besten Dank mit dem Ausdruck innigster Verehrung

Julius Schaxel in Augsburg

a eingef.: Namen der

Brief Metadaten

ID
18350
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
09.04.1906
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
16,5 x 21,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 18350
Zitiervorlage
Schaxel, Julius an Haeckel, Ernst; Augsburg; 09.04.1906; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_18350